BGH zur Haftung des Motorherstellers im Dieselskandal

Der Bundesgerichtshof hat heute im Verfahren VIa ZR 1119/21 entschieden, dass ein Motorhersteller, der nicht zugleich Fahrzeughersteller ist, Käufern der vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen nur dann haftet, wenn er entweder selbst im Sinne der §§ 826, 31 BGB sittenwidrig vorsätzlich gehandelt hat oder wenn er dem Fahrzeughersteller nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vorsätzlich Beihilfe zu dessen vorsätzlichem Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeugs mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung geleistet hat.

Dem Bundesgerichtshof lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Der Kläger kaufte am 9. April 2019 von einem Händler ein gebrauchtes Kraftfahrzeug, das mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motor der Baureihe EA 897 (Euro 6) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug war bereits zuvor von einem vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) angeordneten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen. Ein von der Beklagten zur Beseitigung der vom KBA beanstandeten Abschalteinrichtung erstelltes Software-Update hatte das KBA am 1. August 2018 freigegeben.

Die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich des Wertes gezogener Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage hat vor dem Landgericht weitgehend Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen, weil der Kläger weder nach §§ 826, 31 BGB noch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schadensersatz von der Beklagten verlangen könne. Das gelte auch, soweit der Kläger sein Begehren auf das Vorhandensein eines Thermofensters stütze. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.

 

So hat der Bundesgerichtshof entschieden:

 

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Klägers zurückgewiesen, weil er aufgrund der bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen hatte, der Beklagten falle weder selbst eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers zur Last noch habe sie vorsätzlich Beihilfe dazu geleistet, dass der Fahrzeughersteller das Fahrzeug vorsätzlich mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung – hier: bezogen auf ein in das Fahrzeug verbautes Thermofenster – in den Verkehr gebracht habe.

 

Zwar steht, wie der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils  mit Urteilen von 26. Juni 2023 entschieden hat , dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zu.

 

Die Sonderpflicht, eine mit den (unions-)gesetzlichen Vorgaben konvergierende Übereinstimmungsbescheinigung auszugeben, trifft aber nur den Fahrzeughersteller, nicht den Motorhersteller. 

 

In seiner Pressemitteilung vom heutigen Tage führt der Bundesgerichtshof u.a. aus:  

 

Der BGH hat die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in dessen Urteil vom 21. März 2023 (C-100/21, NJW 2023, 1111 Rn. 78 ff., 91) in seinen Urteilen vom 26. Juni 2023 auf die Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung gestützt, die der Fahrzeughersteller in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG-Typgenehmigung gemäß Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG jedem Fahrzeug beilegt und die gemäß Art. 3 Nr. 36 der Richtlinie 2007/46/EG nicht nur die Übereinstimmung des erworbenen Fahrzeugs mit dem genehmigten Typ, sondern auch die Einhaltung aller Rechtsakte bescheinigt. Die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen und durch das Unionsrecht unangetasteten Grundsätzen des deutschen Deliktsrechts weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein, weil ihn nicht die hierzu erforderliche Sonderpflicht trifft.

 

 

Eine bei Sonderdelikten mögliche Beteiligung der Beklagten als Motorherstellerin im Sinne des § 830 Abs. 2 BGB an einer deliktischen Schädigung des Fahrzeugherstellers, die ebenfalls geeignet gewesen wäre, ihre deliktische Haftung zu begründen, kam nach den nicht beachtlich angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in Betracht. Zwar kann Beihilfe auch zu Sonderdelikten geleistet werden, bei denen der Gehilfe nicht Täter sein kann. Voraussetzung ist allerdings nicht nur, dass der Gehilfe mit doppeltem Vorsatz hinsichtlich der fremden rechtswidrigen Tat und der eigenen Unterstützungsleistung gehandelt hat. Bedingung einer Beteiligung ist vielmehr weiter eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers. Die vorsätzliche Förderung einer fahrlässigen Tat erfüllt die Voraussetzungen des § 830 Abs. 2 BGB nicht. Eine Vorsatztat des Fahrzeugherstellers hat das Berufungsgericht, ohne dass die Revision dem beachtlich entgegengetreten wäre, nicht festgestellt.