VGH Mannheim: Ablehnung der Verlängerung des Genesenenstatus

Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim - zuständig für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg - hat einen Antrag auf Verlängerung des Genesenenstatus mit Beschluss vom 05.04.2022 (Aktenzeichen: 1 S 645/22) abgelehnt. Die Entscheidung ist kritikwürdig, zumal der  VGH über Fragen der materiellen Verkürzung des Genesenenstatus Ausführungen getätigt hat ("obiter dictum"), ohne dass es darauf ankäme.

Der VGH führte zur Begründung u.a. aus:

 

"Bei dieser Frage - über die im Falle ihrer Entscheidungserheblichkeit nicht der Senat, sondern das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hätte (vgl. Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG) - handelt es sich um eine schwierige, insbesondere die vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss genannten gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkte betreffende Rechtsfrage, die im vorliegenden Eilverfahren keiner abschließenden Klärung zugänglich ist (vgl. - durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken allerdings jeweils nicht formulierend - VG Würzburg, Beschl. v. 25.03.2022 - W 8 E 22.456 - juris; VG Freiburg, Beschl. v. 24.03.2022, a.a.O.). Die Erfolgsaussichten eines sachdienlich formulierten Eilantrags der Antragstellerin wären daher allenfalls als offen einzuordnen. Bei offenen Erfolgsaussichten käme die von der Antragstellerin der Sache nach begehrte Vorwegnahme der Hauptsache von den oben (unter 3.) genannten Maßstäben ausgehend nur in Betracht, wenn ihr ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung schwere und irreversible Nachteile, insbesondere existentielle Gefahren für Leben und Gesundheit drohen würden. Solche gravierenden Nachteile hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Der Senat verkennt nicht, dass die Antragstellerin ohne einen Genesenen- (oder Impf-)Nachweis beim derzeitigen Stand weiterhin spürbare Nachteile hinnehmen muss, die Eingriffe in ihr Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) begründen, da sie beruflich in Bereichen tätig ist, die der sog. einrichtungsbezogenen Impfpflicht unterfallen (vgl. § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 IfSG). Dass diese Nachteile den erforderlichen Schweregrad erreichen, hat die Antragstellerin aber nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere ist weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass die Verkürzung des in ihrem Fall ohnehin am 11.05.2022 auslaufenden Genesenenstatus maßgeblich für die Frage ist, ob die Antragstellerin ihre bislang ausgeübte Tätigkeit oder den Arbeitsplatz wechselt oder sogar ihren Beruf aufgibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.2.2022 - 1 BvR 2649/21 - NVwZ 2022, 329 = juris Rn. 17, zur Folgenabwägung in einem Antragsverfahren betreffend den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG gegen § 20a IfSG). Die mit einem vorgezogenen Verlust des Genesenenstatus gleichwohl verbleibenden Nachteile sind der Antragstellerin in der gebotenen Abwägung derzeit zumutbar. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der nach dem Stand der Wissenschaft sehr geringen Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung, welche der Antragstellerin die unveränderte Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit ermöglichen würde, die deutlich höhere Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung von Leib und Leben vulnerabler Menschen (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) in den betroffenen Einrichtungen gegenübersteht (vgl. näher dazu BVerfG, Beschl. v. 10.2.2022, a.a.O., juris Rn. 17 ff.)."

 

Einschätzung der Kanzlei Stenz und Rogoz

Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat den Antrag in erster Linie auf formellen Gründen abgelehnt. Über die Verfassungsmäßigkeit der Verkürzung des Genesenenstatus hat er nur obiter dictum (also ohne dass es darauf ankommt) Stellung genommen. Dabei hat er sich zu relativ weitreichenden Behauptungen hinreißen lassen, wonach die Wahrscheinlichkeit von gravierenden Folgen einer Impfung "sehr gering" seien. Die Frage, die unbeantwortet bleibt lautet, weshalb sich ein Bürger - wenn es auch nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit gibt - auf gravierende Folgen einer Impfung einlassen muss, wenn überall anders in Europa der Genesenenstatus 6 Monate beträgt. Gerade vor dem Hintergrund, dass der konventionelle Covid-Totimpfstoff Valneva kurz vor der Zulassung steht, wäre ein Zeitgewinn von 3 Monaten von großer Bedeutung für die Antragstellerin. 

Mit dieser Frage wird sich sicherlich das Bundesverfassungsgericht demnächst auseinanderzusetzen haben.