Staatlich verordnete Corona-Schließung begründet keinen Mietmangel

Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 02.10.2020 (Aktenzeichen: 2-15 O 23/20) eine Mietminderung wegen der staatlich verordneten Schließung des Einzelhandels wegen der Corona-Pandemie als unbegründet angesehen.

 

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Parteien streiten um die Zahlung von Gewerberaummiete für den Monat April 2020.

 

Die Klägerin vermietet an die Beklagte gemäß dem Mietvertrag vom 26./27.06.2020 sowie dessen Nachträgen vom 03.12.2013 und 11./17.11.2015 Gewerberäume in der S. straße .. in Frankfurt am Main zur „Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art sowie aller Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“. Auf die Vertragsunterlagen in Anlage K 1 (BI. 7 ff. d.A.) wird Bezug genommen. Die Beklagte betreibt in den Räumlichkeiten ein dem entsprechendes Einzelhandelsgeschäft. Sie betreibt darüber hinaus mehrere Tausend weiterer solcher Märkte in Deutschland und einigen europäischen Ländern.

 

Die monatliche Miete einschließlich des Betriebskostenvorschusses und der Umsatzsteuer betrug zuletzt 6.170,04 Euro, fällig bis zum 5. eines Monats.

 

Im Zuge der Corona-Epidemie verordnete das Land Hessen die Schließung sämtlicher Verkaufsstätten des Einzelhandels, also auch des Geschäfts der Beklagten, in der Zeit vom 18.03. bis zum 20.04.2020.

 

Die Beklagte verzeichnete unternehmensweit gegenüber dem Durchschnitt der Jahre 2018 und 2019 im März 2020 einen Umsatzrückgang um 54% und im April 2020 einen solchen von 41%. Die Schließung der Filialen führte zu einer erheblichen Liquiditätslücke, so dass ihr die Mietzinszahlung im April 2020 nicht möglich war.

 

Die Beklagte nutzte für sämtliche Filialen in Deutschland Kurzarbeit. Darüber hinausgehende staatliche Unterstützungsleistungen erhielt die Beklagte nicht.

 

Für den Monat April entrichtete die Beklagte die Miete nicht.

 

Die Klägerin hat im Urkundenprozess ein dem Klageantrag entsprechendes Anerkenntnisvorbehaltsurteil über die Zahlung von 6.170,04 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.04.2020 erlangt.

 

Das Anerkenntnisvorbehaltsurteil ist der Beklagten am 25.06.2020 zugestellt worden.

 

Im Nachverfahren beantragt die Klägerin,

das Vorbehaltsurteil vom 25.06.2020 für vorbehaltlos zu erklären.

 

Die Beklagte beantragt,

das Vorbehaltsurteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte ist der Ansicht, für die Zeit der Schließung nicht zur Mietzinszahlung verpflichtet zu sein.

 

Sie erklärt hilfsweise die Aufrechnung mit einer behaupteten Forderung i.H.v. 2.786,46 Euro. Sie meint, dass ihr in dieser Höhe ein Erstattungsanspruch wegen der von ihr für den Monat März entrichteten Miete zustehe, da das Mietobjekt - was unstreitig ist - auch im März 2020 aufgrund der staatlich verordneten Schließung an 14 von 31 Tagen nicht geöffnet gewesen sei.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 23.09.2020 (BI 97 f. d.A.) Bezug genommen.

 

Das Landgericht begründete seine Entscheidung wie folgt:

 

I.

Das Anerkenntnisvorbehaltsurteil vom 25.06.2020 war für vorbehaltlos zu erklären. Die Klage ist begründet.

 

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten Anspruch auf Mietzahlung und Betriebskostenvorschuss für den Monat April 2020 i.H.v. 6.170,04 Euro brutto, § 535 BGB, sowie auf Verzugszinsen vom 04.04.2020 an.

 

Insoweit ist das Gericht im Nachverfahren gemäß § 318 ZPO an die im Wege des Anerkenntnisvorbehaltsurteils getroffene Entscheidung gebunden. Denn diesbezüglich beruht die Entscheidung nicht auf der dem Urkundenprozess eigentümlichen Beschränkung der Beweismittel.

 

2.

Die Beklagte ist nicht gemäß § 536 Abs. 1 S. 1 BGB von der Entrichtung der Miete befreit oder gemäß § 536 Abs. 1 S. 2 BGB zur Entrichtung nur einer herabgesetzten Miete verpflichtet.

 

In der staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels liegt kein Mangel in der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB.

 

Ein Mangel setzt voraus, dass der tatsächliche Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Wenn - wie hier - Parteiabreden zur Beschaffenheit der Mietsache fehlen, wird der zum vertragsgemäßen Gebrauch geeignete Zustand unter Berücksichtigung des vereinbarten Nutzungszwecks und des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nach der Verkehrsanschauung bestimmt (vgl. BGH, NJW 2013, 680). Auch öffentlichrechtliche Gebrauchshindernisse und - Beschränkungen können privat- oder öffentlich-rechtliche Hindernisse zu einem Mangel führen. Voraussetzung ist aber, dass die Beschränkungen der konkret vermieteten Sache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt haben und nicht in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters (vgl. BGH, NJW 2011, 3151). Durch hoheitliche Maßnahmen bewirkte Gebrauchsbeschränkungen können deshalb nur dann einen Mangel begründen, wenn sie unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der konkreten Mietsache in Zusammenhang stehen; Maßnahmen, die nur den geschäftlichen Erfolg des Mieters beeinträchtigen, fallen in dessen Risikobereich. § 535 Abs. 1 S. 2 BGB verpflichtet den Vermieter nur, die Mietsache in einem Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht, das Verwendungsrisiko trägt hingegen der Mieter allein (vgl. LG Heidelberg, a.a.O., m.w.N.).

 

3.

Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 326 Abs. 1 S. 1 BGB entfallen Durch die staatlich verordnete Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels ist der Klägerin die Gebrauchsgewährung nicht gemäß § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden.

22Zwar konnte die Beklagte die Mietsache während der behördlich angeordneten Schließung nicht als Verkaufsraum nutzen. Damit hat sich jedoch lediglich das Verwendungsrisiko verwirklicht, welches allein die Beklagte zu tragen hat. Die Kläger haben der Beklagten die Mietsache, wie es ihrer Hauptleistungspflicht entspricht, in gebrauchstauglichem Zustand bereitgestellt. Der Umstand, dass die Nutzung für die Beklagte nicht wie von ihr beabsichtigt möglich war, liegt nicht an der Sache selbst (vgl. LG Heidelberg, a.a.O.; Schmidt, COVID-19, § 3 Rn. 71, beck-online).

 

4.

Die Beklagte hat schließlich keinen Anspruch auf Anpassung des Vertrags unter dem Gesichtspunkt der Störung der Geschäftsgrundlage, § 313 BGB.

24Es steht bereits nicht fest, dass die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie sich bewusst gemacht hätten, dass es für die Dauer eines Monats zu einer staatlich verordneten Schließung der Verkaufsstätten des Einzelhandels kommen würde.

 

Jedenfalls ist der Beklagten das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht unzumutbar.

 

Eine Vertragsanpassung unter diesem Gesichtspunkt setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass dies zur Vermeidung eines untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden und damit der betroffenen Partei nach Treu und Glauben nicht zuzumutenden Ergebnisses unabweislich erscheint (vgl. BGH, NJW 2012, 1718 m.w.N.).

 

Dies lässt sich hier nicht sagen.

 

Gemäß § 313 Abs. 1 BGB ist bei der anzustellenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls das wichtigste Kriterium das der vertraglichen Risikoverteilung. Wie oben ausgeführt, geht diese hier dahin, dass die Beklagte als Mieterin das Verwendungsrisiko der Mietsache trägt, also das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für den Betroffenen - abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existentiell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt - regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (vgl. BGH, NZM 2000, 492).

 

Dass die erzwungene Schließung hier zu existenziell bedeutsamen Folgen für die Beklagte geführt hätte, ist nicht dargelegt. Die Beklagte beschränkt sich darauf, Liquiditätsengpässe für den Zeitraum der Schließung geltend zu machen. Solchen Liquiditätsengpässen trägt jedoch bereits Art. 240 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB Rechnung, der den Mieter vor der Kündigung schützt, soweit er, bedingt durch die Corona-Pandemie, seine Miete vorübergehend nicht pünktlich zu leisten im Stande war.

 

Hinzu kommt, dass der Zeitraum der Schließung letztlich nur etwa einen Monat betrug. In dieser Zeit konnte die Beklagte Kurzarbeit einführen und dadurch beträchtliche Einsparungen verbuchen. Seit dem Ende der Schließung hat sie ihre Geschäftstätigkeit ohne wesentliche Einschränkungen wiederaufgenommen. Der Umsatzrückgang ist demnach vorübergehend geblieben. Dass ihre Liquiditätssituation auch heute noch angespannt wäre, trägt die Beklagte nicht vor. Dann ist es ihr aber auch zumutbar, die rückständige Miete nunmehr zu begleichen.

 

5. Die Hilfsaufrechnung der Beklagten greift nicht durch. Ihr steht hinsichtlich der Miete für März 2020 kein Erstattungsanspruch zu, da sie die Märzmiete aus den oben genannten Gründen in vollem Umfang schuldete.

 

 

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 5, 709 S. 2, 711 ZPO.