Thermofenster - Dieselskandal


Mit Urteil vom 21.03.2023 erklärte der EuGH das sog. Thermofenster für unzulässig
Mit Urteil vom 21.03.2023 erklärte der EuGH das sog. Thermofenster für unzulässig

"Abschalteinrichtung" und "Thermofenster"

Eine Abschalteinrichtung ist nach Art. 3 Nr. 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das bestimmte Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, wenn nicht bestimmte Ausnahmen vorliegen.

 

Nach dieser Definition handelt es sich bei dem Thermofenster um eine Abschalteinrichtung (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19, Rn. 67 ff. bei juris; LG Stuttgart, Urteil vom 25.07.2019, 30 O 34/19, Rn. 31 bei juris; LG Stuttgart, Urteil vom 17.01.2019, 23 O 178/18, Rn. 40 bei juris). Denn es werden die Lufttemperatur und weitere Parameter ermittelt. Je nach den ermittelten Parametern wird die Rate der Abgasrückführung verändert. Die Abgasrückführung ist Teil des Emissionskontrollsystems, weil sie Einfluss auf den Ausstoß von Stickoxiden hat (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, juris). Die Veränderung der Rate geschieht bei Bedingungen, die bei normalem Fahrbetrieb zu erwarten sind, denn in Europa sind z. B. Lufttemperaturen in einer großen Bandbreite zu erwarten.

 

Unerheblich ist, ob das System auch außerhalb des Prüfstandes arbeitet, wenn ähnliche Verhältnisse wie dort vorliegen. Denn eine Abschalteinrichtung ist auch gegeben, wenn die Verbesserung der Leistung des Emissionskontrollsystems punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen erfolgt (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, juris)


Was sagt der EuGH zum "Thermofenster"?

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 14. Juli 2022 (GSMB Invest, C‑128/20, EU:C:2022:570, Rn. 47) klargestellt, dass Art. 3 Nr. 10 der Verordnung Nr. 715/2007 in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 1 dahin auszulegen ist, dass eine Einrichtung, die die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15° und 33° C liegt und der Fahrbetrieb unterhalb von 1 000 Höhenmetern erfolgt, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieses Art. 3 Nr. 10 darstellt (vgl. in diesem Sinne ).

 


Was sagt der Bundesgerichtshof zum "Thermofenster"?

Der Bundesgerichtshof hat am 08.05.2023 über fünf Stunden das Thema Thermofenster mit Verbraucher- und Hersteller-Anwälten verhandelt. Es ging um Motoren der Hersteller Audi, Mercedes Benz und VW. Im Verfahren mit dem Aktenzeichen VIa ZR 533/21 hatte der Kläger im Mai 2018 von einem Vertragshändler der Audi AG einen Audi SQ5 Allroad 3.0 TDI, der mit einem Motor der Baureihe EA 896Gen2BiT ausgerüstet ist, gekauft. In dem Verfahren mit dem Aktenzeichen VIa ZR 1031/22 hatte der Kläger im Oktober 2017 von der Mercedes-Benz Group AG einen Mercedes-Benz C 220 d, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist gekauft. Ferner ging es in einem weiteren Verfahren um einen VW, der den Motor EA288 verbaut hatte. 

 

Am 08.05.2023 wurde noch keine Entscheidung verkündet. Die Urteile sollen am 26.06.2023 gesprochen werden. 

 

Wie haben sich die Richter in der Verhandlung positioniert?

Die Anwälte der Autohersteller argumentierten heute damit, dass es - wie im Fall von VW etwa - eine uneingeschränkte Typ-Genehmigung durch das KBA gegeben habe und sich die Hersteller darauf verlassen hätten. Der Senat ließ Zweifel erkennen, dass dies ausreiche. Daher besteht Grund zu vorsichtigem Optimismus, dass die Klagen Erfolg haben werden. Die Vorsitzende ließ durchklingen, dass sie sich der Senat zumindest die Geltendmachung des sog. kleinen Schadensersatzes vorstellen könne. 

 

Der kleiner Schaden­ersatz beläuft sich auf den Minderwert des gelieferten Autos im Vergleich zu einem Wagen, wie er hätte sein sollen. Dies bedeutet, dass das Fahrzeug nicht zurückgeben werden kann, sondern behalten werden muss.  Der großer Schaden­ersatz hingegen bedeutet faktisch eine Rückabwicklung des Kaufvertrages. Das heißt, der Kunde erhält den Kauf­preis zurück, muss/darf dafür das Auto zurück­geben und eine "Entschädigung" für die mit dem Wagen gefahrenen Kilo­meter zahlen. Hinzu kommen mögliche Zinsansprüche.  

 

Sobald der BGH seine Urteile verkündet, werden wir an dieser Stelle darüber berichten. 


Ihre Rechte als Pkw-Besitzer

In der jüngsten Vergangenheit sind viele Klagen gegen Mercedes Benz  und andere Hersteller abgewiesen worden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nun aber mit Urteil vom 21.03.2023 (Aktenzeichen: C-100/21) einem Verbraucher im Streit mit Mercedes-Benz Recht gegeben. Der EuGH hat letztlich entschieden, dass der Käufer bereits im Falle einer einfachen Fahrlässigkeit des Herstellers Anspruch auf Schadensersatz hat (und nicht erst bei einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung), wenn ihm durch die Abschalteinrichtung ein Nachteil entstanden ist.  


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Rechtsschutzversicherer muss Dieselverfahren decken

Das Landgericht Deggendorf (9a. Zivilkammer), Urteil vom 28.08.2023 – 9a O 273/22 hat klargestellt, dass ein Rechtsschutzversicherer Deckung für ein Klageverfahren gegen VW im Dieselskandal erteilen muss. Das Urteil betraf den Motor EA 288.

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Verfügt VW-Motor EA288 über eine Abschalteinrichtung?

Das OLG München hat mit Beschluss vom vom 25.07.2023 (Aktenzeichen: 34 U 1617/23 e) offengelassen, ob der VW-Dieselmotor EA 288 über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Vielmehr möchte es die Berufung gegen ein klageabweisende Urteil zurückweisen, weil sich VW  angeblich in einem "vorsatzausschließenden Rechtsirrtum" befunden habe. Der Kläger hatte am 07.12.2019 einen VW Sharan 2,0 l TDI, Abgasnorm Euro 6, mit einer Leistung von 135 kW zu einem Kaufpreis von 28.800,- € brutto gekauft. Das Fahrezeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288 ausgestattet. Das Fahrzeug ist von keiner Maßnahme des KBA betroffen und unterliegt auch keinem Rückruf.

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Dieselaffäre: BGH urteilt über Mercedes-Motor OM 651

Mit Urteil vom 20.07.2023 (Az.: III ZR 267/20) hat der BGH heute über einen Mercedes-Benz V 250 Edition lang zu entscheiden gehabt, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 ausgerüstet ist. Die EG-Typgenehmigung wurde für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug hatte die Klägerin im Oktober 2016 gekauft. Die Klägerin macht geltend, der Motor in ihrem Fahrzeug sei mit zwei unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen, nämlich einem die Abgasrückführung steuernden Thermofenster sowie einer Abschalteinrichtung, die sich aus der Wirkungsweise des SCR-Katalysators ergebe. Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, sie so zu stellen, als habe sie den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Der III. Zivilsenat hat heute im Anschluss an die Entscheidungen des VIa. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR 1031/22) auf die Revision der Klägerin das Berufungsurteil mit Ausnahme eines auf die Zurückweisung von Zinsansprüchen entfallenden Teils aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

  

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Dieselskandal: BMW muss Schadensersatz für N47-Motor wegen Thermofenster zahlen

Als eines der ersten Gerichte nach den viel beachteten BGH-Urteilen vom 26.06.2023 hat sich das Landgericht Frankenthal positioniert und einem Käufer, der am 06.07.2016 ein BMW Cabrio 120d (ausgestattet mit dem Motor N 47, Euro 5) gekauft hatte, pauschalen Schadensersatz in Höhe von 10 % des Kaufpreises zugesprochen (Urteil vom 05.07.2023 – 6 O 335/22). Das Gericht hat festgestellt, dass BMW eine unzutreffende Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat, da in dem Fahrzeug tatsächlich ein sog. Thermofenster eingebaut war.

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BGH zur Haftung des Motorherstellers im Dieselskandal

Der Bundesgerichtshof hat heute im Verfahren VIa ZR 1119/21 entschieden, dass ein Motorhersteller, der nicht zugleich Fahrzeughersteller ist, Käufern der vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugen nur dann haftet, wenn er entweder selbst im Sinne der §§ 826, 31 BGB sittenwidrig vorsätzlich gehandelt hat oder wenn er dem Fahrzeughersteller nach § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV vorsätzlich Beihilfe zu dessen vorsätzlichem Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeugs mit einer inhaltlich unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung geleistet hat.

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