Verfügt VW-Motor EA288 über eine Abschalteinrichtung?

Das OLG München hat mit Beschluss vom vom 25.07.2023 (Aktenzeichen: 34 U 1617/23 e) offengelassen, ob der VW-Dieselmotor EA 288 über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfügt. Vielmehr möchte es die Berufung gegen ein klageabweisende Urteil zurückweisen, weil sich VW  angeblich in einem "vorsatzausschließenden Rechtsirrtum" befunden habe. Der Kläger hatte am 07.12.2019 einen VW Sharan 2,0 l TDI, Abgasnorm Euro 6, mit einer Leistung von 135 kW zu einem Kaufpreis von 28.800,- € brutto gekauft. Das Fahrezeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288 ausgestattet. Das Fahrzeug ist von keiner Maßnahme des KBA betroffen und unterliegt auch keinem Rückruf.

 

Dem Hinweis des OLG lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

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Der Kläger macht Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Dieselfahrzeugs geltend.

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Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Kläger am 7.12.2019 einen VW Sharan 2,0l TDI, Abgasnorm Euro 6, mit einer Leistung von 135 kW zu einem Kaufpreis von 28.800,- € brutto. Das Fahrzeug war ein Gebrauchtwagen und wies zum Kaufzeitpunkt einen Kilometerstand von 39.503 auf. Es ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA288 ausgestattet. Das Fahrzeug ist von keiner Maßnahme des KBA betroffen und unterliegt auch keinem Rückruf. Es wies am 11.2.2023 einen Kilometerstand von 62.701 auf.

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Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, das KBA habe amtliche Rückrufe im Zusammenhang mit dem Motor EA288 der Beklagten angeordnet. Das streitgegenständliche Fahrzeug erkenne, wenn es auf einem Rollenprüfstand steht, und aktiviere dann einen entsprechenden Prüfmodus in der Motorsteuerung. Dieser Modus sei so angepasst, dass die Schadstoffreduktion für die Dauer der Prüfung maximal effektiv erfolgt. Außerhalb des Prüfzyklus sei das nicht der Fall. Die Grenzwerte der Euro-6-Norm würden durch die Fahrzeuge der Beklagten, auch durch das streitgegenständliche, außerhalb des NEFZ Zyklus massiv überschritten. Die offensichtlichste Abschalteinrichtung stelle das sogenannte Thermofenster dar. Das Fahrzeug messe die Außentemperatur mittels Sonden und optimiere die Emissionsstrategie so, dass sie bei Temperaturen zwischen 20 und 30°C – den genormten Temperaturen für die NEFZ-Prüfung – optimal funktioniert und der NOx-Ausstoß unter diesen Bedingungen minimiert wird. Unter anderen Temperaturbedingungen habe die Beklagte andere Aspekte in den Vordergrund gestellt und die Schadstoffwerte bewusst außer Acht gelassen. Daneben fänden sich noch weitere Abschalteinrichtungen, die als sogenanntes hard cycle beating zu werten seien. Hierbei handle es sich um relativ plumpe Abschalteinrichtungen, die Faktoren erkennen würden, die im NEFZ-Zyklus genormt seien bzw. nur zu bestimmten Werten vorkämen wie Drehzahl und Prüfdauer. Die Beklagte habe die Abschalteinrichtungen bei der Beantragung der Typgenehmigung bei der zuständigen Behörde nicht angegeben. Damit ihre mit Abschalteinrichtungen ausgestatteten Fahrzeuge die Abgasuntersuchung bestehen können, habe die Beklagte einen weiteren Betrug einsetzen müssen und dies auch getan: Sie habe die OBD-Systeme so manipuliert, dass diese keine Fehler der Abgasreinigung feststellten, obwohl objektiv die Werte der NOx-Sonden einen deutlich zu hohen Wert ausgegeben hätten, der bei einem zulässig konstruierten Fahrzeug nur durch einen Fehler der Abgasreinigung zu erklären wäre. Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 28.192,26 € nebst Zinsen zu bezahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Sharan, FIN: festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des genannten Fahrzeugs in Verzug befinde, und die Beklagte weiter zu verurteilen, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.564,26 € freizustellen.

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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie behauptet, die Messungen des KBA zu variierten Prüfbedingungen hätten gezeigt, dass das bei den EA288-Motoren verwendete System bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte einhalte. Dies erfolge unabhängig von einer Erkennung des Prüfstands und einer angeblich hinterlegten Systematik zur Verbesserung der NOx-Emissionen im Prüfstand. Die Beklagte habe dem KBA im Zuge der Aufarbeitung der Dieselthematik betreffend Fahrzeuge mit EA189-Motor auch unmittelbar nach deren Bekanntwerden am 2.10.2015 vorgestellt, dass in Fahrzeugen mit EA288-Motor eine Fahrkurvenerkennung zwar hinterlegt ist, an die indes nicht die aus den EA189-Fahrzeugen bekannte Umschaltlogik geknüpft sei. Aus dem Temperaturbereich, von -24°C bis +70°C, in dem die Abgasrückführung im streitgegenständlichen Fahrzeug mit einem EA288-Aggregat nicht aktiv sei, ergebe sich, dass es sich bei dem hier vorliegenden Thermofenster schon tatbestandlich nicht um eine Abschalteinrichtung i.S. von Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 handle. Das KBA habe den Vorwurf eines unzulässigen Thermofensters bereits überprüft und zugunsten der Beklagten verneint. Das OBD-System überwache nur die abgasbeeinflussenden Systeme, wirke auf diese aber nicht ein. Entsprechend könne es bereits nicht die Tatbestandsvoraussetzungen einer Abschalteinrichtung erfüllen. Soweit die Klagepartei behaupte, die Beklagte habe in das OBD-System eingegriffen, damit dieses keine Fehlermeldung bei einer unzureichenden Abgasreinigung außerhalb vorprogrammierter Temperaturfelder anzeige, sei dies nicht zutreffend. Auch die klägerische Behauptung, dass in dem streitgegenständlichen Motor sei eine Abschalteinrichtung verbaut, weil die AGR bei Überschreiten einer bestimmten Drehzahl-Schwelle grundsätzlich abgeschaltet werde, sei unzutreffend, ebenso dass die Prüfdauer des NEFZ erfasst und nur in diesem Zeitraum in einen sauberen Modus geschaltet werde.

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Das Landgericht hat die Klage mit am 15.2.2023 verkündetem Endurteil abgewiesen. Ein Anspruch nach § 826 BGB bestehe nicht. Soweit der Kläger auf die Funktionsweise einer Software verweise, die den Schadstoffausstoß gezielt manipuliere, indem sie erkenne, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand oder im allgemeinen Straßenverkehr betrieben werde, und bei einer Fahrzeugnutzung auf einem Prüfstand den Schadstoffausstoß zur gezielten Veränderung des Prüfergebnisses durch Umschaltung auf einen hierfür programmierten Modus verringere, verkenne er, dass es auch begründet zulässige Zykluserkennungen und Abschalteinrichtungen geben könne. Der Sachvortrag weise daher keine Substanz auf und sei willkürlich aus der Luft gegriffen. Er rechtfertige somit nicht die Veranlassung einer Beweisaufnahme. Auch der Vorwurf, das Fahrzeug sei mit einem Thermofenster ausgestattet, begründe keinen Anspruch aus § 826 BGB.

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Selbst wenn das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sein sollte, gehe damit keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung einher. Thermofenster seien allgemein anerkannte und von sämtlichen Herstellern eingesetzte technische Einrichtungen. Von der Manipulationssoftware beim Motortyp EA189 würde sich das vom Kläger behauptete Thermofenster grundlegend unterscheiden. Es handle sich nicht um eine Programmierung zum Erkennen des Betriebs des Fahrzeugs auf dem Prüfstand. Zudem fehle es in diesem Zusammenhang an einer Darlegung der subjektiven Haftungsvoraussetzungen. Das bloße Vorhandensein einer behaupteten objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung allein sei nicht geeignet, Ansprüche des Klägers aus § 826 BGB zu begründen. Ein Schädigungsvorsatz könne nur dann angenommen werden, wenn über die bloße Kenntnis vom Einbau einer Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor hinaus zugleich auch Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass dies von Seiten der Beklagten in dem Bewusstsein geschah, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen wurde. Es sei aber weder ersichtlich noch vom Kläger dargelegt, dass die Beklagte mit der Unzulässigkeit des eingesetzten Thermofensters gerechnet hätte. Vielmehr könne dann eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung und -anwendung durch die Organe der Beklagten in Betracht gezogen werden. Eine Verkennung der Rechtslage begründe aber selbst im Falle eines fahrlässigen oder gar grob fahrlässigen Handelns keinen Schädigungsvorsatz. Soweit behauptet werde, die Beklagte habe im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens wichtige Informationen vorenthalten oder unzutreffende Behauptungen u.a. zum Thermofenster gemacht, sei dies erkennbar eine Vermutung ins Blaue hinein. Um hier zu einer sekundären Darlegungslast oder weiterer Aufklärungspflicht seitens des Gerichts kommen zu können, wäre zumindest erforderlich gewesen, zu benennen, was genau gegenüber wem aufgrund welcher Verpflichtung aufzuklären gewesen wäre bzw. welche Informationen vorenthalten wurden. Deliktische Ansprüche, bei denen eine fahrlässige Begehungsweise ausreichend ist, sodass es auf den Vorsatz der Beklagten nicht ankomme, seien nicht ersichtlich. Insbesondere hafte die Beklagte im Hinblick auf das Thermofenster auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder i.V.m. Vorschriften der VO (EG) Nr. 715/2007 oder der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 692/2008, da diese keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien.

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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er trägt vor, der Europäische Gerichtshof habe festgestellt, dass die VO (EG) Nr. 715/2007 auch die Einzelinteressen des Fahrzeugkäufers schütze und diesem bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch den Hersteller ein Recht auf Schadensersatz eröffne. Der Gerichtshof subsumiere das Thermofenster unter den Begriff der Abschalteinrichtung i.S. des Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007. Der Nachweis einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei bereits durch die enormen Überschreitungen der Grenzwerte durch die streitgegenständliche Motorgeneration in diversen Tests unter normalen Fahrbedingungen nachgewiesen. Interne Dokumente der Beklagten, eine sogenannte Entscheidungsvorlage und der Statusbericht Diesel würden zeigen, dass der EA288-Motor wie der Vorgänger EA189 die Grenzwerte nicht ohne Manipulation habe einhalten können und auf Zykluserkennung ausgerichtet gewesen sei. Im Übrigen genüge es nach der richtigen Einschätzung des Bundesgerichtshofs, der hierbei auch in Betracht ziehe, dass der Klageseite aufgrund mangelndem Einblicks in die Funktionsweise der Motorsteuerung kein exakter Vortrag möglich sei, für substantiierten Vortrag, dem das Gericht nachzugehen habe, wenn der Kläger Umstände vortrage, über die er selbst kein zuverlässiges Wissen besitze und auch nicht erlangen könne, die er nach Lage der Verhältnisse aber für wahrscheinlich halte. Kenntnis und Vorsatz des Vorstands ergäben sich aus den Vorschriften zur Qualitätssicherung. Auch würde die Organisation der Beklagten eine Entscheidung zum Einbau der Abschalteinrichtungen ohne Kenntnis der leitenden Mitarbeiter unmöglich machen. Dass diese unzulässig gewesen seien, hätte eine einfache rechtliche Prüfung am Wortlaut der VO (EG) Nr. 715/2007 ergeben müssen. Die Beklagte habe die Abschalteinrichtungen bei der Beantragung der Typgenehmigung nicht angegeben. Damit ihre Fahrzeuge die Abgasuntersuchung bestehen können, habe die Beklagte die OBD-Systeme in ihren mit Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugen so programmiert, dass diese Systeme keine Fehler der Abgasreinigung feststellten, obwohl objektiv gesehen die Werte der NOx-Sonden einen deutlich zu hohen Wert ausgegeben hätten, der bei einem zulässig konstruierten Fahrzeug nur durch einen Fehler der Abgasreinigung zu erklären wäre. Fälschlich gehe das Gericht erster Instanz davon aus, dass ein Rückruf des KBA erforderlich sei, um die Ansprüche zu begründen. Im Übrigen habe das KBA amtliche Rückrufe im Zusammenhang mit dem hier streitgegenständlichen Motor EA288 der Beklagten angeordnet.

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Der Kläger beantragt,

Unter Abänderung des am 9.3.2023 verkündeten Urteils:

9Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 28.192,26 € nebst Zinsen aus 28.192,26 € hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 6.1.2021 zu bezahlen Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Pkw Typ Volkswagen Sharan, FIN:

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Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Antrag genannten Fahrzeugs seit dem 7.1.2021 in Verzug befindet.

11Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.564,26 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten freizustellen.

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Die Beklagte beantragt,

Die Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.

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Sie trägt vor, für Fahrzeuge mit dem Motorentyp EA288 lasse sich feststellen, dass weder eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, noch ein Schaden, noch eine Fahrlässigkeit der Beklagten. Sie habe insbesondere nicht fahrlässig gegen § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. europarechtlichen Normen der Zulassung verstoßen. Denn hätte sie zum fraglichen Zeitpunkt beim KBA angefragt, ob das Thermofenster und die Fahrkurvenerkennung zulässig seien, hätte die Behörde dies zweifelsohne bejaht, was sich auch im Nachgang durch die tausenden von Bestätigungen in den laufenden Gerichtsverfahren zeige. Auch fehle es an jeglichem Schaden.

 

 

Das OLG begründet seine Rechtsansicht wie folgt:

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Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da er einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

 

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Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung i.S. von § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Nach dieser Maßgabe hat das Landgericht die Klage jedenfalls im Ergebnis zutreffend abgewiesen.

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1. Die vom Kläger erstrebte Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs käme lediglich im Falle einer sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte nach § 826 BGB in Betracht. Insoweit fehlt es jedoch an einem tragfähigen Klagevorbringen, weshalb eine Beweisaufnahme nicht geboten ist. Auf die Frage der Zurechenbarkeit gemäß § 31 BGB oder eine Haftung aus § 831 BGB kommt es somit nicht an.

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a) Zwar ist nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein Thermofenster in bestimmten Ausgestaltungen eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 (EuGH EuZW 2022, 1073 f.). Ob eine solche Ausgestaltung hier gegeben ist, kann indes offenbleiben. Denn jedenfalls durfte die Beklagte bis zu der genannten Entscheidung davon ausgehen, dass ein Thermofenster aus Gründen des Motor- oder Bauteilschutzes nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a VO (EG) 715/2007 zulässig sei. Insofern befand sie sich zumindest in einem vorsatzausschließenden Rechtsirrtum, da bis dahin nahezu alle europäischen Hersteller ihre Dieselfahrzeuge mit einem Thermofenster ausgerüstet hatten und dies trotz umfangreicher Untersuchungen von den zuständigen Überwachungsbehörden auch nicht beanstandet wurde (OLG Schleswig BeckRS 2022, 19428 Rn. 23). Hierauf hat sich die Beklagte auch bereits erstinstanzlich berufen. Hinweise darauf, dass der Einbau des Thermofensters gleichwohl in dem Bewusstsein erfolgte, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen, und dies billigend in Kauf genommen wurde, existieren nicht.

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b) Greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein sonstiger unzulässiger Abschalteinrichtungen, die dem KBA – aus welchen Gründen auch immer – verborgen geblieben wären und daher Anlass gäben, den Beweisangeboten des Klägers nachzukommen, bestehen nicht. Fehlt es wie hier nämlich an einem Rückruf des streitgegenständlichen Fahrzeugs, so bedarf es anderer gewichtiger Indizien für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung (OLG München BeckRS 2021, 9658 Rn. 36). Solche sind jedoch nicht vorgetragen. Eine Beweiserhebung zu den einschlägigen Behauptungen des Klägers würde sich daher als unzulässiger Ausforschungsbeweis (vgl. BGH NJW 2012, 2427/2431) darstellen.

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aa) Unergiebig ist der Verweis auf angeblich erhöhte Abgaswerte außerhalb des Prüfstandbetriebs. Denn aus diesen ergibt sich keineswegs per se, dass eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein muss (BGH BeckRS 2021, 37995 Rn. 30; OLG München BeckRS 2022, 29312 Rn. 18). Vielmehr liegt auf der Hand, dass eine eventuelle Überschreitung der Grenzwerte ohne weiteres darauf zurückzuführen sein kann, dass der Motor im realen Fahrbetrieb aufgrund der konkreten Verkehrsverhältnisse deutlich mehr Schadstoffe emittiert als in einem zu Vergleichszwecken festgelegten, standardisierten Fahrzyklus. Dergleichen ist auch bei Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch allgemein bekannt. Da der europäische Gesetzgeber für die Schadstoffnormen Euro 5 und Euro 6 im Jahr 2013 die Messung allein im Prüfstandbetrieb festgelegt hatte und erst seit Kurzem für Neufahrzeuge Messungen im Normalbetrieb nach WLTP-Standard vorschreibt, kommt es nicht darauf an, ob im Normalbetrieb die der Zulassung zugrundeliegenden Werte im NEFZ eingehalten werden (OLG Braunschweig BeckRS 2019, 38719).

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bb) Hinsichtlich der behaupteten Manipulation des OBD-Systems fehlt es schon allein deswegen an einem beachtlichen Klagevortrag im Hinblick auf § 826 BGB, weil dieses System der Prüfung der Funktion emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme dient, selbst aber nicht den Schadstoffausstoß fehlfunktionsunabhängig überwacht (OLG Karlsruhe BeckRS 2022, 10880 Rn. 45). Es ist auch nicht Aufgabe des OBD-Systems, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer rechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden (BGH BeckRS 2021, 44235 Rn. 91).

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cc) Eine Fahrkurvenerkennung ist haftungsrechtlich nur dann relevant, wenn sie im Prüfstand Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat (BGH BeckRS 2023, 15117 Rn. 48). Dass dies vorliegend der Fall wäre, stellt sich als bloße Behauptung ins Blaue hinein dar. Es ist insofern und auch im Hinblick auf sonstige angebliche unzulässige Abschalteinrichtungen nicht statthaft, alle Fahrzeuge der Beklagten dahingehend gleichsam über einen Kamm zu scheren, dass, wenn eine solche Abschalteinrichtung in einem Motor eines Fahrzeugherstellers vorliege, dies im Regelfall die gesamte Motorenreihe oder gar alle Fahrzeuge dieses Herstellers bzw. dieses Konzerns betreffe (OLG Hamm BeckRS 2021, 31189 Rn. 78; OLG Koblenz BeckRS 2019, 18418 Rn. 22). Ein solcher Erfahrungssatz kann nicht angenommen werden, schon weil damit sämtliche Motoren einer Motorenfamilie bzw. einer Baureihe ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen technischen Merkmale einem Generalverdacht unterworfen würden (OLG München BeckRS 2021, 9658 Rn. 23; OLG Brandenburg BeckRS 2020, 41726 Rn. 29).

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2. Ebensowenig lässt sich der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz stützen. Auf die Frage der Zurechenbarkeit gemäß § 31 BGB oder eine Haftung aus § 831 BGB kommt es daher auch insoweit nicht an.

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a) Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung kann der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Kraftfahrzeugs nicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den Normen des europäischen Abgasrechts vom Hersteller die Rückabwicklung des mit dem Verkäufer abgeschlossenen Vertrags verlangen (BGH BeckRS 2023, 15117 Rn. 23). Schon allein deshalb kann die Klage auf dieser Grundlage jedenfalls in ihrer bisherigen Fassung und somit auch die Berufung keinen Erfolg haben.

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b) Hieran würde sich allerdings selbst bei – zulässiger (vgl. BGH BeckRS 2023, 14774 Rn. 25) Umstellung des Klagebegehrens auf den sogenannten Differenzschaden im Hinblick auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz nichts ändern.

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aa) Der unter 1. a) dargelegte Rechtsirrtum lässt auch den Vorwurf einer fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S. von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) 715/2007 in Gestalt eines Thermofensters entfallen, und zwar wiederum unabhängig von dessen konkreter Ausgestaltung. Denn die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass ihre Rechtsauffassung selbst bei einer konkreten Nachfrage beim KBA von diesem bestätigt worden wäre. Es ist in der Tat gerichtsbekannt, dass im Zuge der damaligen Typgenehmigungsverfahren den Beteiligten bewusst war, dass die Messwerte der Fahrzeuge im Realbetrieb von den Werten im NEFZ angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messungen erfolgen, abwichen (KG BeckRS 2022, 24950 Rn. 20). Dennoch wurde behördenseits der Einsatz von Thermofenstern regelmäßig nicht beanstandet. Zwar ist diese Verwaltungspraxis insofern nicht schon per se maßgeblich. Aus ihr kann allerdings gemäß § 286 Abs. 1 ZPO auf eine hypothetische Genehmigung geschlossen werden, die der Annahme von Fahrlässigkeit bei der Verwendung der betreffenden, ggf. unzulässigen Abschalteinrichtung entgegensteht (BGH BeckRS 2023, 15117 Rn. 67).

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bb) § 263 StGB ist zwar nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich ein Schutzgesetz i.S. von § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB. Es besteht aber keine Stoffgleichheit der Vermögenseinbuße des Klägers mit den Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte. Insbesondere kann die Bereicherung des Verkäufers um den Anteil des Kaufpreises, der über den Wert des Fahrzeugs hinausging, nicht als notwendiges und beabsichtigtes Zwischenziel zur Erreichung der eigenen Ziele der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten angesehen werden. Deren Ziel im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen von Fahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung bestand – die Richtigkeit des entsprechenden Klägervortrags unterstellt – darin, diese Fahrzeuge kostengünstiger als ihr sonst möglich zu produzieren, möglichst viele von ihnen abzusetzen und damit ihren Gewinn zu erhöhen. Dieses Ziel ließ sich mit dem Verkauf der Neuwagen erreichen. Hierfür war es jedoch nicht notwendig, dass bei etwaigen späteren Zweit- oder Drittverkäufen derselben Fahrzeuge als Gebrauchtwagen zugunsten des jeweiligen Verkäufers ein über dem Wert des jeweiligen Fahrzeugs liegender Kaufpreis erneut realisiert würde (BGH NJW 2020, 2798/2801 f.). Zudem fehlt es am für einen Verstoß gegen § 263 StGB erforderlichen Vorsatz, siehe bereits 1. a).

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cc) Hinsichtlich der weiteren behaupteten Manipulationen wird auch unter dem Aspekt einer Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz auf die Ausführungen unter 1. b) verwiesen.

Einschätzung der Kanzlei Stenz & Rogoz:

 

Die Berufung darf nach Einschätzung unserer Kanzlei durch das OLG München nicht im Beschlusswege nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden. Die Annahme, der weltgrößte Autohersteller - die Volkswagen AG - habe beim Einbau einer Abschalteinrichtung einem  vorsatzausschließenden Rechtsirrtum unterlegen, ist abwegig und dürfte vor dem Bundesgerichtshof wohl kaum Bestand haben.

 

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