Verwaltungsgericht München kippt erneut Verkürzung des Genesenenstatus

Mit Beschluss vom 16.03.2022 (Aktenzeichen: M 26b E 22.1282) hat das Verwaltungsgericht München an seiner Rechtsprechung vom 22.02.2022 (wir berichteten) auch kurz vor Verkündung des neuen Infektionsschutzgesetzes festgehalten und die Verkürzung des Genesenenstatus von sechs Monaten auf 90 Tage als rechtswidrig eingestuft. In dem von der Kanzlei Stenz & Rogoz geführten Verfahren hat das Verwaltungsgericht einige interessante Aspekte zur materiellen Verfassungswidrigkeit der Verkürzung angesprochen.

 

Auszugsweise hat das Verwaltungsgericht München im o.g. Beschluss klargestellt:

 

"[...]

Davon ausgehend kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob sich die vorgenommene Änderung auch in materiell-rechtlicher Hinsicht als fehlerhaft erweist, insbesondere, ob die vom Robert Koch-Institut hierzu gegebene wissenschaftliche Begründung die Reduzierung der Geltungsdauer des Genesenenstatus trägt. Das Gericht weist gleichwohl - ohne die Entscheidung tragend hierauf zu stützen - darauf hin, dass an der Tragfähigkeit der wissenschaftlichen Begründung in der derzeitigen Fassung Zweifel bestehen.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kommt dem Gesetzgeber bei der Gestaltung von Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Allerdings müssen sich die getroffenen Maßnahmen auf hinreichend tragfähige tatsächliche und wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen können (BVerfG, B. v. 19.11.2021 - 1 BvR 781/21 u.a. - juris Rn. 145, 170, 177).

 

Die fachliche Begründung, wie sie den in der SchAusnahmV in Bezug genommenen Internetseiten von Robert Koch-Institut (www.rki.de/covid-19-genesenennachweis, s. Wiedergabe im Tatbestand) und Paul-Ehrlich-Institut (www.pei.de/impfstoffe/covid-19, zuletzt abgerufen am 9.3.2022) zu entnehmen ist, ist lückenhaft. Sie erläutert nicht, warum die Bewertung der Ansteckungsgefahr im Hinblick auf länger als drei Monaten Genesene auf der einen Seite und vollständig Geimpften, deren zweite Impfung teils schon länger als ein Jahr zurückliegt, auf der anderen Seite derart unterschiedlich ausfällt, dass die Genesenen nur für drei Monate, die zweifach Geimpften jedoch zeitlich unbegrenzt über einen privilegierten Status verfügen.

 

Das Robert Koch-Institut entscheidet über den Genesenenstatus (§ 2 Nr. 5 SchAusnahmV) allein und ist zudem an der Entscheidung des Paul-Ehrlich-Instituts über den Impfstatus beteiligt (Entscheidung „im Benehmen“ mit dem Paul-Ehrlich-Institut, § 2 Nr. 3 SchAusnahmV). Nach den zur Begründung des Genesenenstatus aufgeführten Studien ist sowohl bei Genesenen als auch bei vollständig Geimpften eine sog. Immunflucht im Hinblick auf die Omikron-Variante festzustellen. Gleichwohl fällt die Risikoeinschätzung bezüglich der Gefahr der Virusübertragung für beide Gruppen gänzlich unterschiedlich aus, ohne dass dies näher begründet würde. Vor dem Hintergrund, dass vollständig geimpfte Personen ohne „Boosterimpfung“ kaum vor Ansteckung mit der Omikron-Variante geschützt sind, erscheint es erklärungsbedürftig, dass diese gleichwohl auch ohne „Boosterimpfung“ zeitlich unbegrenzt als geimpft gelten. Soweit die Verkürzung des Genesenenstatus dem Zweck dienen sollte, die Impfbereitschaft zu erhöhen, läge darin eine politische Entscheidung, deren Zulässigkeit im vorliegenden Verfahren nicht näher zu untersuchen ist. Denn jedenfalls ist das Robert Koch-Institut als wissenschaftliche Fachbehörde nicht zu politischen Erwägungen berufen, sondern auf rein fachwissenschaftliche Erwägungen beschränkt. Eine hinreichende fachwissenschaftliche Begründung der divergierenden Risikoeinschätzung von (seit längerer Zeit) vollständig Geimpften und vor drei Monaten Genesenen vermag das Gericht derzeit nicht zu erkennen.

 

Die Verkürzung des Genesenenstatus erscheint zudem inhaltlich nicht passgenau mit den Empfehlungen der (beim Robert Koch-Institut angesiedelten) Ständigen Impfkommission (STIKO) und dem Paul-Ehrlich-Institut abgestimmt. Die STIKO empfiehlt eine einmalige Impfung mit einem Abstand von mindestens drei Monaten zur durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion (Epidemiologisches Bulletin 2/2022 vom 13. Januar 2022, S. 17, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2022/Ausgaben/02_22.pdf u.a. als Quelle für die zeitliche Verkürzung des Genesenenstatus zitiert). Ein vollständiger Impfschutz liegt nach den ma0geblichen Vorgaben des Paul-Ehrlich-Instituts (www.pei.de/impfstoffe/covid-19, zuletzt aufgerufen am 9.3.2022) allerdings erst 14 Tage nach der letzten Einzelimpfung vor, so dass sich ein impfwilliger Genesener, um ohen zeitliche Lücke vom Status „genesen“ in den Status „geimpft“ zu wechseln und einen privilegierten Status zu behalten, sich schon vor Ablauf der von der STIKO empfohlenen drei Monate impfen lassen müsste. Angesichts der möglichen rechtlichen Konsequenzen vom Impfungen, welche außerhalb der Impfempfehlungen der STIKO vorgenommen wurden, z.B. möglicher Verlust von Versorgungsansprüchen nach § 60 IfSG bei Impfschäden, erscheint das für die Betroffenen nicht ohne Weiteres zumutbar."

 

Bewertung der Kanzlei Stenz & Rogoz

Damit bleiben die Anträge auf Verlängerung des Genesenenstatus auch nach der Gesetzesänderung zum 19.03.2022 erfolgsversprechend.

 

Leider hat der Beschluss des Verwaltungsgerichts München keine allgemeine Wirkung, auch nicht für Bürger, die direkt in München oder dem Zuständigkeitsbereich des dortigen Verwaltungsgerichts wohnen.  Das heißt, Sie müssen selbst die Verlängerung Ihres verkürzten Genesenenstatus' erwirken.

 

Fordern Sie daher zunächst Ihr zuständiges Gesundheitsamt - dieses ist eine Behörde des für Sie zuständigen Landratsamtes bzw. der kreisfreien Stadt - auf, Ihnen innerhalb von 1 Woche einen verlängten Genesenenstatus auszustellen.

 

Ein entsprechendes Musterschreiben könnte folgendermaßen lauten:

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

am __________ wurde ich erstmalig positiv auf Covid-19 getestet. Ich bin genesen und seit ____________ im Besitz eines gültigen Genesenenzertifikats, welches ursprünglich bis ____________ gültig war.

 

Aufgrund einer Gesetzes-/Verordnungsänderung soll mein Genesenstatus um drei Monate, mithin bis ___________ verkürzt werden.

 

Dem widerspreche ich und fordere Sie auf, mir einen Nachweis über meine Genesung für den Zeitraum vom ___________ bis ___________ zu erteilen.

 

Zur Begründung führe ich aus:

 

Die Verkürzung des Genesenenstatus‘ ist – worauf bereits das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 12.02.2022 und das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Beschluss vom 02.02.2022 feststellten – nicht verfassungsgemäß und führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung meiner Freiheitsrechte und zu einem faktischen Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben (Restaurantbesuche, Hotelaufenthalte, Konzerte etc.).

 

Zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes fordere ich Sie auf, mir den o.g. Nachweis innerhalb von 1 Woche zuzuleiten.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

______________________

 

(Unterschrift)

 

Versenden Sie das Schreiben am besten per Fax!

 

Sollten Sie innerhalb der Wochenfrist keine Antwort des Gesundheitsamtes erhalten, wenden Sie sich einfach an uns. Wir werden dann gemeinsam beraten, ob ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz  vor dem zuständigen Gesundheitsamt Aussicht auf Erfolg hat. In den meisten Fällen werden die Kosten dieses Vorgehens von Ihrer Rechtsschutzversicherung gedeckt.