Kein Ersatz von Mehrwertsteuer bei fiktiver Abrechnung

Mit Urteil vom 05.04.2022 (Aktenzeichen: VI ZR 7/21) hat der Bundesgerichtshof entschieden: Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht verlangen. Dies gilt auch dann, wenn im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (hier: Teilreparatur zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Unfallfahrzeugs).

 

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

In einem von der unfallgeschädigten Klägerin eingeholten Gutachten bezifferte ein Sachverständiger die Nettoreparaturkosten auf rund 5.500,00 €, wobei die Betriebs- und Verkehrssicherheit des Fahrzeugs ausweislich des Sachverständigengutachtens durch den Unfall nicht beeinflusst war. Die Klägerin rechnete fiktiv auf Gutachtenbasis ab; die Beklagte erstattete auf dieser Grundlage die Nettoreparaturkosten. Die Klägerin ließ sodann eine Teilreparatur durchführen, für die Kosten in Höhe von 4.454,63 € netto zuzüglich Umsatzsteuer in Höhe von 846,38 € anfielen.

 

Dem Bundesgerichtshof zufolge kann der Geschädigte jedoch die fiktive und konkrete Erstattung von Schadensersatzansprüchen nicht kombinieren. Er führte insofern aus:

 

Da die Klägerin den Weg der fiktiven Schadensabrechnung gewählt hat und nicht zu einer konkreten Berechnung ihres Schadens auf der Grundlage der durchgeführten Reparatur übergegangen ist, kann sie nicht den Ersatz der im Rahmen der Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer verlangen. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig.

 

a) Gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen der Verletzung einer Person oder der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Ob dabei fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abgerechnet wird, betrifft lediglich die Art der Schadensberechnung (vgl. Senatsurteile vom 17. Oktober 2006 - VI ZR 249/05, BGHZ 169, 263 Rn. 15; vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 17).

 

b) Die unterschiedlichen Abrechnungsarten dürfen aber nicht miteinander vermengt werden. So ist insbesondere eine Kombination von konkreter und fiktiver Schadensabrechnung unzulässig. Hierdurch soll nicht nur verhindert werden, dass sich der Geschädigte unter Missachtung des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots die ihm vorteilhaften Elemente der jeweiligen Berechnungsart aussucht („Rosinenpicken“), sondern auch den unterschiedlichen Grundlagen der jeweiligen Abrechnung Rechnung getragen und deren innere Kohärenz sichergestellt werden (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 18 mwN).

 

So knüpft die konkrete Schadensabrechnung an eine tatsächlich durchgeführte Reparatur oder Ersatzbeschaffung an und zielt auf Ersatz der hierfür konkret angefallenen Kosten ab. Demgegenüber ist bei der fiktiven Abrechnung der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der aufgrund seiner Dispositionsfreiheit in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei und deshalb nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Schadensberechnung auf einer abstrahierten Grundlage zufriedengibt (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 19 mwN).

 

Dem durch einen Verkehrsunfall Geschädigten entsteht durch das Vermischungsverbot kein Nachteil. Auch wenn er seinen Fahrzeugschaden zunächst fiktiv abgerechnet hat, kann er später - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - grundsätzlich zur konkreten Schadensabrechnung übergehen und Ersatz der tatsächlich angefallenen Kosten verlangen (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 20 mwN).

 

c) Wählt der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, kann er den Ersatz von Umsatzsteuer nicht beanspruchen. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - im Rahmen einer durchgeführten Reparatur tatsächlich Umsatzsteuer angefallen ist. Eine Kombination fiktiver und konkreter Schadensberechnung ist insoweit nicht zulässig (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 21).

 

aa) Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB schließt der bei der Beschädigung einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer ist hingegen nicht zu ersetzen, wenn und soweit sie fiktiv bleibt. Die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB begrenzt insoweit die Dispositionsfreiheit des Geschädigten (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 22 mwN).

 

bb) Die Umsatzsteuer bleibt nicht nur dann fiktiv in diesem Sinne, wenn es nicht zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung kommt; sie bleibt es vielmehr auch dann, wenn der Geschädigte zwar tatsächlich eine Restitutionsmaßnahme veranlasst, diese Maßnahme aber nicht zur Grundlage seiner Abrechnung macht, sondern seinen Schaden fiktiv und damit ohne Bezug zu den tatsächlich getätigten Aufwendungen auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens abrechnet (Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 23 mwN). Wie bereits unter b) ausgeführt, darf der Geschädigte die tatsächlich erfolgte Restitutionsmaßnahme dann auch nicht teilweise - in Bezug auf die angefallene Umsatzsteuer - zum Gegenstand seiner im Übrigen fiktiven Abrechnung machen (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 24; aA Elsner, jurisPR-VerkR 2/2022 Anm. 1).

 

Anders als die Revision meint, steht dieses Ergebnis nicht im Widerspruch zu dem mit der Einführung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB verfolgten Zweck. Durch die gesetzliche Regelung wollte der Gesetzgeber zwar nichts an der Möglichkeit des Geschädigten ändern, den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag stets und insoweit zu verlangen, als er zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes tatsächlich angefallen ist (vgl. BT-Drs. 14/7752, 13 f., 23 f.). Diese Möglichkeit wird dem Geschädigten durch das Vermischungsverbot aber nicht genommen. Wie oben ausgeführt bleibt es dem Geschädigten unbenommen, seinen Schaden konkret abzurechnen oder, wenn er ihn zunächst fiktiv abgerechnet hat, - im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Schadensabrechnung und der Verjährung - zu einer konkreten Berechnung auf der Grundlage der tatsächlich veranlassten Restitutionsmaßnahme überzugehen (vgl. Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 - VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 25 mwN). Nur dann ist die Umsatzsteuer für den Geschädigten „auf dem von ihm gewählten Weg“ (BT-Drs. 14/7752 S. 23 f.) der Schadensbeseitigung und Abrechnung tatsächlich angefallen im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB.

 

cc) Nichts anderes gilt in der vom Senat bislang offen gelassenen (vgl. Senatsurteil vom 13. September 2016 - VI ZR 654/15, NJW 2017, 1310 Rn. 17) und auch durch das Senatsurteil vom 12. Oktober 2021 (VI ZR 513/19, NJW 2022, 543 Rn. 21 ff.) nicht ausdrücklich entschiedenen Fallgestaltung einer Teilreparatur zur Herstellung der Verkehrssicherheit.

18Zwar kann die Teilreparatur des Unfallfahrzeugs zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit - neben dessen weiterer Nutzung durch den Geschädigten über einen Zeitraum von im Regelfall mindestens sechs Monaten (vgl. hierzu Senatsurteil vom 23. Mai 2006 - VI ZR 192/05, BGHZ 168, 43) - zur Voraussetzung für die Abrechenbarkeit von fiktiven Reparaturkosten werden, wenn diese den Wiederbeschaffungsaufwand (d.h. Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) überschreiten (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 399 f., juris Rn. 10 ff.; vom 29. April 2008 - VI ZR 220/07, NJW 2008, 1941 Rn. 9; vom 23. November 2010 - VI ZR 35/10, NJW 2011, 667 Rn. 7). Diese von der Senatsrechtsprechung eröffnete Möglichkeit der Ersatzfähigkeit fiktiver Reparaturkosten über den Wiederbeschaffungsaufwand hinaus bis zur Grenze des Wiederbeschaffungswertes schützt in besonderem Maße das Integritätsinteresse des an der weiteren Nutzung seines Fahrzeugs interessierten Geschädigten und dessen Dispositionsfreiheit (vgl. Senatsurteile vom 29. April 2003 - VI ZR 393/02, BGHZ 154, 395, 397 f., juris Rn. 7, 9; vom 23. Mai 2006 - VI ZR 192/05, BGHZ 168, 43 Rn. 7). Die umsatzsteuerpflichtige Teilreparatur ermöglicht in diesem Fall erst die fiktive Abrechnung. Dies erlaubt dem Geschädigten aber nicht, sich darüber hinaus unter Vermengung von fiktiver und konkreter Abrechnung zusätzlich die Vorteile der konkreten Abrechnung zu sichern. Auch in diesem Fall fällt die Umsatzsteuer nicht auf die - nach der Entscheidung des Geschädigten der Schadensberechnung zugrunde gelegte - fiktive Reparatur an, sondern auf die - nach seiner Entscheidung gerade nicht abgerechnete - konkrete Teilreparatur. Der Geschädigte darf auch insoweit nicht einzelne Elemente der einen Abrechnung mit der anderen kombinieren, sondern muss sich für eine Abrechnungsart - fiktiv oder konkret - entscheiden. Andernfalls verstieße er gegen das Vermischungsverbot.

 

d) Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der auf die Teilreparatur angefallenen Umsatzsteuer. Die in der von der Klägerin gewählten fiktiven Schadensabrechnung enthaltene Umsatzsteuer auf die Reparaturkosten bleibt fiktiv, weil sie nicht angefallen ist, und wurde deshalb von der Klägerin zurecht nicht geltend gemacht, während die mit der Klageforderung geltend gemachte Umsatzsteuer zwar tatsächlich angefallen ist, jedoch auf eine Reparatur, die von der Klägerin nicht abgerechnet wird.

20e) Soweit die Revision im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Auffassung vertreten hat, anderes müsse gelten, wenn der Geschädigte hinsichtlich eines genau abgrenzbaren Teils des Schadens von der fiktiven zur konkreten Schadensabrechnung übergehe, liegt ein solcher Fall hier schon nicht vor. Entsprechende Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen und die Revision zeigt keinen vom Berufungsgericht insoweit übergangenen Instanzvortrag der Klägerin auf.

 

Vorinstanzen:

AG Nordhorn, Entscheidung vom 09.06.2020 - 3 C 90/20 -

LG Osnabrück, Entscheidung vom 08.12.2020 - 3 S 133/20 -