BGH: Kopf- und Nackenschmerzen als unfallbedingte Körperverletzung

Mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 23.6.2020 (Aktenzeichen: VI ZR 435/19) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass Voraussetzung eines unfallbedingten Schadensersatzes nicht unbedingt der Nachweis einer sog. HWS-Distorsion ist. Es genügt, wenn bewiesen werden kann, dass der Geschädigte an Kopf- und Nackenschmerzen litt. 

 

Dem Urteil des Bundesgerichtshof lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer aus gemäß § 6 Abs. 1 EFZG übergegangenem Recht auf Erstattung der Entgeltfortzahlung an ihre ehemalige Arbeitnehmerin, die Zeugin W., nach einem Verkehrsunfall vom 16. März 2016 in Anspruch, für den die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach außer Streit steht.

2Bei dem Unfall fuhr die Fahrerin des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw an einer roten Lichtzeichenanlage von hinten auf den Pkw der Klägerin auf, der von W. geführt wurde. Auf der Grundlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Dr. M. vom 18. März 2016, welcher W. eine vom 18.bis 24. März 2016 andauernde Arbeitsunfähigkeit attestierte, leistete die Klägerin an W. eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 753,26 €.

 

Mit der Klage hat die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung dieses Betrages zuzüglich Nebenkosten verlangt. Sie hat behauptet, die attestierte Arbeitsunfähigkeit der Zeugin W. sei Folge einer durch den Unfall bedingten HWS-Distorsion. Die Beklagte hat behauptet, bei dem Auffahrunfall sei es nur zu einem leichten Stoßimpuls gekommen, der nicht geeignet gewesen sei, das behauptete Verletzungsbild der Zeugin W. hervorzurufen.

 

Das Amtsgericht hat ein klagestattgebendes Versäumnisurteil erlassen, das es nach Einspruch der Beklagten und Vernehmung der Zeugin W. aufrechterhalten hat. Das Gericht hat es durch die Aussage der Zeugin W. als erwiesen angesehen, dass diese aufgrund des Unfallereignisses eine HWS-Distorsion erlitten habe und dementsprechend arbeitsunfähig krankgeschrieben worden sei, mithin der Unfall kausal für die Entgeltfortzahlung gewesen sei.

 

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

 

Der Bundesgerichtshof hat wie folgt entschieden:

 

I.

 

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass die Klägerin nicht bewiesen habe, dass die Zeugin W. eine unfallbedingt eingetretene HWS-Distorsion erlitten habe, die in der Folge eine Arbeitsunfähigkeit nach sich gezogen habe. Die Klägerin sei ihrer Beweislast insbesondere nicht durch die Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgekommen. Dabei handle es sich um eine Privaturkunde, der der Beweiswert nach § 416 ZPO zukomme, die aber im Hinblick auf die inhaltliche Richtigkeit (objektivierbare Arbeitsunfähigkeit) keinen Beweiswert entfalte. Entgegen anderer Ansicht genüge der Arbeitgeber im Regressprozess seiner Darlegungslast nicht bereits dann, wenn er darlege, dass der Arbeitnehmer durch den Unfall zum Arztbesuch veranlasst sowie die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden sei und der Arbeitnehmer während der bescheinigten Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet habe. Zwar entstünden die Lohnfortzahlungskosten des Arbeitgebers unabhängig vom tatsächlichen Vorliegen einer HWS-Distorsion allein aufgrund der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die Ansprüche des Arbeitgebers aus nach § 6 EFZG übergegangenem Recht könnten jedoch im Verhältnis zu den Ansprüchen des Geschädigten gegen den Schädiger nicht privilegiert werden. Durch den Anspruchsübergang verändere sich der Anspruch auf Zahlung von Verdienstausfall nicht, sondern behalte seinen Charakter als zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch. Damit unterliege die Geltendmachung des übergegangenen Schadensersatzanspruchs durch den Arbeitgeber keinen anderen beweisrechtlichen Grundsätzen als die gerichtliche Geltendmachung durch den Arbeitnehmer selbst. Der Arbeitgeber habe daher den Vollbeweis nach § 286 ZPO dafür zu erbringen, dass unfallbedingt ein Verletzungsbild eingetreten sei, welches die Arbeitsunfähigkeit kausal nach sich gezogen habe. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründe die tatsächliche Vermutung, dass der Arbeitnehmer infolge Krankheit arbeitsunfähig sei, sie entfalte aber im Hinblick auf Ursache und Art der Arbeitsunfähigkeit keine Rechtswirkungen, weil sie sich hierauf bereits ihrem Inhalt nach nicht beziehe. Ein Verletzungsverdacht stehe einer Verletzung nicht gleich. Der Verzicht auf die Verifizierung eines bestimmten Diagnoseinhalts und die Beschränkung der Prüfung darauf, ob überhaupt eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung vorliege, liefe aber darauf hinaus, einen Verletzungsverdacht ausreichen zu lassen.

 

Der Klägerin sei es durch die Vernehmung der Zeugin W. nicht gelungen, den Beweis zu führen, dass eine HWS-Distorsion mit der Folge einer Arbeitsunfähigkeit eingetreten sei. Zwar habe sich das Amtsgericht vom Eintritt einer HWS-Distorsion überzeugt gezeigt, indem es festgestellt habe, dass die Zeugin glaubhaft ausgeführt habe, nach dem Unfallereignis unter starken Nacken- und Kopfschmerzen gelitten zu haben, woraufhin ärztlicherseits ein Schleudertrauma diagnostiziert worden sei, das sie mit Physiotherapie behandelt habe. Die Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Tatsachenfeststellung stehe aber im Zweifel und gebiete die Fortsetzung der Beweisaufnahme durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Denn das Amtsgericht habe basierend auf den Symptomschilderungen der Zeugin sowie der der Zeugin zuteil gewordenen Behandlung auf das Vorliegen einer HWS-Distorsion geschlossen. Dieser Rückschluss sei jedoch nicht ausreichend, vielmehr sei eine solche Diagnose erst nach Auswertung medizinischer Unterlagen sowie ggf. der Untersuchung der Zeugin, also nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens mit dem erforderlichen Grad der Überzeugung zu treffen. Die Klägerin habe aber erklärt, dass ein diesbezüglicher Beweisantritt aus Kostengründen nicht erfolgen solle, und den Kostenvorschuss nicht eingezahlt. Die Kammer sei nicht verpflichtet, gegen den Willen der Klägerin von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung der körperlichen Verletzung der Zeugin W. einzuholen.

 

II.

 

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

 

Der angefochtenen Entscheidung liegt die rechtsfehlerhafte Auffassung zugrunde, dass sich eine unfallbedingte Körperverletzung nur dann feststellen ließe, wenn die Klägerin die von ihr behauptete HWS-Distorsion beweisen könnte. Das Berufungsgericht hat verkannt, dass auch die von der Zeugin W. bekundeten starken Nacken- und Kopfschmerzen als Primärverletzung in Betracht kommen können, und deshalb Feststellungen dazu unterlassen, ob diese Schmerzen unfallbedingt waren und zur Arbeitsunfähigkeit der Zeugin W. geführt haben.

 

1. Der Forderungsübergang gemäß § 6 EFZG setzt voraus, dass der Arbeitnehmer - vorliegend die Zeugin W. - auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten - hier der Beklagten - Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen kann, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist, und dass der Arbeitgeber - hier die Klägerin - dem Arbeitnehmer nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (hier: gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG im Krankheitsfall) Arbeitsentgelt fortgezahlt hat. Die Klägerin hat daher außer der Entgeltfortzahlung darzulegen und zu beweisen, dass der Zeugin W. gegen die Beklagte ein Anspruch auf Ersatz des (normativen, vgl. Senatsurteile vom 22. November 2016 - VI ZR 40/16, VersR 2017, 304 Rn. 15; vom 16. Oktober 2001 - VI ZR 408/00, BGHZ 149, 63, 67, juris Rn. 12) Verdienstausfallschadens aus § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1, § 11 Satz 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG zusteht. Es gelten insoweit keine anderen Grundsätze, als wenn die Zeugin W. ihren Schadensersatzanspruch selbst geltend machen würde.

 

2. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats genügt eine Partei grundsätzlich ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen anführt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 14. Januar 2020 - VI ZR 97/19, MDR 2020, 432 Rn. 8 mwN). Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (Senatsbeschluss vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 11 mwN).

12Vorliegend hat die Klägerin ihrer Darlegungslast dadurch genügt, dass sie behauptet hat, die Zeugin W. habe infolge des Unfalls Verletzungen erlitten und sei deshalb vom 18. bis 24. März 2016 arbeitsunfähig krank gewesen. Die Frage, wann der Arbeitgeber im Regressprozess seiner Darlegungslast genügt, stellt sich daher, anders als das Berufungsgericht zur Begründung der Zulassung der Revision angeführt hat, vorliegend nicht.

 

3. Was die Beweislast angeht, so gilt für die haftungsbegründende Kausalität, die den Kausalzusammenhang zwischen der Verletzungshandlung und der Rechtsgutsverletzung, d.h. dem ersten Verletzungserfolg (Primärverletzung) betrifft, das strenge Beweismaß des § 286 ZPO, das die volle Überzeugung des Gerichts verlangt (Senatsurteil vom 29. Januar 2019 - VI ZR 113/17, BGHZ 221, 43 Rn. 12 mwN). Diese erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (Senatsurteile vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, NJW 2008, 2845 Rn. 7; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 235/07, VersR 2008, 1133 Rn. 8; vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03, NJW 2004, 777, 778, juris Rn. 9). Für die haftungsausfüllende Kausalität, die den ursächlichen Zusammenhang zwischen der primären Rechtsgutsverletzung und weiteren Schäden des Verletzten (Sekundärschäden) betrifft, gilt das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO, d.h. zur Überzeugungsbildung kann eine hinreichende bzw. überwiegende Wahrscheinlichkeit genügen (Senatsurteil vom 29. Januar 2019 - VI ZR 113/17, BGHZ 221, 43 Rn. 12 mwN).

 

Das Berufungsgericht hat zutreffend gesehen, dass die Frage, ob sich W. bei dem Unfall überhaupt eine Verletzung zugezogen hat, die haftungsbegründende Kausalität betrifft und damit den strengen Anforderungen des Vollbeweises gemäß § 286 ZPO unterliegt (Senatsurteile vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, NJW 2008, 2845 Rn. 7; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 235/07, VersR 2008, 1133 Rn. 7; vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03, NJW 2004, 777, 778, juris Rn. 15). Erforderlich ist der Nachweis einer Körper- oder Gesundheitsverletzung, der bloße Verletzungsverdacht reicht nicht aus (Senatsurteil vom 17. September 2013 - VI ZR 95/13, NJW 2013, 3634 Rn. 8, 14).

 

a) Das Berufungsgericht hat es nicht als bewiesen erachtet, dass W. infolge des Unfalls eine HWS-Distorsion erlitten hat. Diese tatrichterliche Beurteilung lässt keine Rechtsfehler erkennen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beweiswürdigung dem Tatrichter vorbehalten ist, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich nachprüfen, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 29. Januar 2019 - VI ZR 113/17, BGHZ 221, 43 Rn. 24; vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, NJW 2008, 2845 Rn. 7; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 235/07, VersR 2008, 1133 Rn. 8).

 

aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin ihrer Beweislast hinsichtlich des Haftungsgrundes nicht durch die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18. März 2016 nachgekommen ist. Diese enthält weder Angaben zur Diagnose, also zur Art der Krankheit, noch verhält sie sich zu der Frage, ob die die Arbeitsunfähigkeit auslösende Krankheit unfallbedingt ist. Da sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon ihrem Inhalt nach nicht auf Art und Ursache der Krankheit erstreckt, kommt es nicht darauf an, welche (formelle oder materielle) Beweiskraft einer Privaturkunde überhaupt zukommen kann.

 

bb) Entgegen der Ansicht der Revision ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht, ohne die Zeugin W. erneut zu vernehmen, nicht der Feststellung des Amtsgerichts gefolgt ist, durch die Aussage der Zeugin W. sei die von der Klägerin behauptete HWS-Distorsion bewiesen, sondern dass es hierfür die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens für erforderlich erachtet hat.

 

(1) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die die in dieser Bestimmung angeordnete Bindung des Berufungsgerichts an die erstinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem erstinstanzlichen Gericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen können sich ferner aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz (vgl. Senatsurteil vom 21. Juni 2016 - VI ZR 403/14, VersR 2016, 1194 Rn. 10 f. mwN). Dann aber hat es in eine erneute Beweisaufnahme einzutreten. Insbesondere muss das Berufungsgericht einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es dessen Aussage anders würdigen will als die Vorinstanz. Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit der Aussage betreffen (Senatsurteil vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223, juris Rn. 12; Senatsbeschluss vom 25. Juli 2017 - VI ZR 103/17, VersR 2018, 249 Rn. 9 mwN).

 

(2) Vorliegend ist das Berufungsgericht nicht von der Würdigung des Amtsgerichts abgewichen, dass die Zeugin glaubhaft ausgeführt hat, sie habe nach dem Unfallereignis unter starken Nacken- und Kopfschmerzen gelitten, woraufhin ärztlicherseits ein Schleudertrauma diagnostiziert worden sei, welches sie mit Physiotherapie behandelt habe. Vielmehr hat das Berufungsgericht die Beweiswürdigung des Amtsgerichts deshalb angezweifelt, weil sich mit der Zeugenaussage, anders als mit einem medizinischen Sachverständigengutachten, die objektive Richtigkeit der der Zeugin mitgeteilten Diagnose nicht nachweisen lasse. Damit hat das Berufungsgericht die Beweiswürdigung des Amtsgerichts im Ergebnis als verfahrensfehlerhaft angesehen. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Allein der Umstand, dass Dr. M., wie von der Zeugin W. bekundet, ein Schleudertrauma diagnostizierte, lässt nicht darauf schließen, dass diese Diagnose richtig war. Da der Arzt, der einen Unfallgeschädigten untersucht und behandelt, diesen nicht aus der Sicht eines Gutachters betrachtet, sondern ihn als Therapeut behandelt, steht für ihn die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt, während die Benennung der Diagnose als solche für ihn zunächst von untergeordneter Bedeutung ist. Eine ausschlaggebende Bedeutung wird solchen Diagnosen im Allgemeinen jedenfalls nicht beizumessen sein. Im Regelfall wird das Ergebnis einer solchen Untersuchung nur als eines unter mehreren Indizien für den Zustand des Geschädigten nach dem Unfall Berücksichtigung finden können (Senatsurteile vom 29. Januar 2019 - VI ZR 113/17, BGHZ 221, 43 Rn. 33; vom 3. Juni 2008 - VI ZR 235/07, VersR 2008, 1133 Rn. 11). Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass Dr. M. der Zeugin zugleich Arbeitsunfähigkeit attestierte. Denn auch hierfür stand die objektiv richtige Diagnose, die nicht Gegenstand der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist, nicht im Mittelpunkt. Entgegen der Ansicht der Revision spielt es ferner keine Rolle, dass nach Aussage der Zeugin W. der Stellung der Diagnose Befunderhebungen (Röntgenaufnahmen, manuelles Abtasten) vorausgingen, zumal nicht festgestellt ist, dass und welche Auffälligkeiten diese Befunde ergeben haben sollen. Für die dem Beweis durch Vernehmung der Zeugin W. nicht zugängliche Frage, ob die gestellte Diagnose der HWS-Distorsion zutreffend war, durfte das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht der Revision ohne nähere Begründung seitens der Beklagten, weshalb die Diagnose unrichtig sein soll - die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens daher für erforderlich erachten. Ermessensfehlerfrei und von der Revision nicht beanstandet ist weiter die Auffassung des Berufungsgerichts, dass es nach Hinweis auf die Erforderlichkeit eines entsprechenden Beweisantrags dieses Gutachten nicht gegen den Willen der Klägerin von Amts wegen einzuholen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 2019 - VIII ZR 255/17, MDR 2019, 563 Rn. 18 f.). Entgegen der Ansicht der Revision war es auch nicht verfahrensfehlerhaft, ohne Vernehmung des Dr. M. dessen Diagnose (HWS-Distorsion/Schleudertrauma) „die Beweiskraft“ abzusprechen. Denn die Klägerin hat nach dem insoweit von der Revisionsbegründung in Bezug genommenen Beweisantritt in der Klage die Vernehmung des Zeugen Dr. M. nicht zum Beweis dafür angeboten, dass die Zeugin W. eine HWS-Distorsion erlitten hat.

 

b) Mit Erfolg rügt die Revision jedoch, dass sich das Berufungsgericht bei der Prüfung der unfallbedingten Rechtsgutsverletzung lediglich mit dem Vorliegen einer HWS-Distorsion befasst hat. Die Zeugin W. hat - so die Feststellung des Amtsgerichts, die vom Berufungsgericht bislang nicht angezweifelt worden ist und ohne erneute Vernehmung der Zeugin auch nicht angezweifelt werden kann - glaubhaft bekundet, nach dem Unfall unter „starken Nacken- und Kopfschmerzen“ gelitten zu haben. Diese bei der Beweisaufnahme zutage getretenen Umstände hat sich die Klägerin zumindest hilfsweise zu eigen gemacht (vgl. Senatsurteil vom 3. April 2001 - VI ZR 203/00, NJW 2001, 2177, 2178, juris Rn. 9; Senatsbeschluss vom 30. November 2010 - VI ZR 25/09, VersR 2011, 1158 Rn. 9; jeweils mwN). Auch diese Beschwerden können als unfallbedingte Körperverletzung zu bewerten sein. Denn der Begriff der Körperverletzung im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 1, § 11 StVG ist weit auszulegen und umfasst jeden Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit (Senatsurteil vom 17. September 2013 - VI ZR 95/13, NJW 2013, 3634 Rn. 12 mwN). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts läuft der Verzicht auf die Verifizierung eines bestimmten Diagnoseinhalts und die Beschränkung der Prüfung darauf, ob überhaupt eine Körper- oder Gesundheitsverletzung vorliegt, nicht darauf hinaus, einen Verletzungsverdacht ausreichen zu lassen. Denn auch dann, wenn sich die Diagnose HWS-Distorsion nicht verifizieren lässt, können glaubhaft bekundete starke Nacken- und Kopfschmerzen eine Rechtsgutsverletzung und nicht nur einen Verletzungsverdacht begründen (vgl. auch Senatsurteile vom 8. Juli 2008 - VI ZR 274/07, NJW 2008, 2845 Rn. 8; vom 3. Juni 2008 - VI  ZR 235/07, VersR 2008, 1133 Rn. 12). Für die Annahme der haftungsbegründenden Kausalität ist dann entscheidend, ob die Beschwerden durch den Unfall hervorgerufen wurden. Ob dies der Fall ist oder nicht, lässt sich den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht entnehmen, so dass diese insoweit unvollständig sind.

 

4. Die Sache war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

 

Dieses wird die Feststellungen zur Frage des Vorliegens unfallbedingter starker Nacken- und Kopfschmerzen nachzuholen haben. Bejahendenfalls wird es für die Frage, ob die Beschwerden zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und damit zum (normativen) Verdienstausfallschaden führten (haftungsausfüllende Kausalität), das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO anzuwenden haben. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass der Tatrichter den Beweis, dass krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlag, normalerweise als erbracht ansehen kann, wenn eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 2001 - VI ZR 408/00, BGHZ 149, 63, 67, juris Rn. 12; BAG, NJW 2017, 1129 Rn. 17; NJW 1998, 2762, juris Rn. 13), und dass dem Arbeitnehmer, der berechtigterweise auf die ihm bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht arbeitet, hierdurch ein ersatzfähiger normativer Schaden entsteht (vgl. Senatsurteil vom 16. Oktober 2001 - VI ZR 408/00, BGHZ 149, 63, 67, juris Rn. 12).

 

Vorinstanzen:

AG Bad Homburg, Entscheidung vom 06.12.2018 - 2 C 1453/17 (20) -

LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 30.09.2019 - 2-16 S 183/18 -