12.000,00 € Schmerzensgeld für Sturz im Supermarkt

Das Oberlandesgericht Dresden hat mit nunmehr veröffentlichtem Urteil vom 21.07.2023 (Aktenzeichen: 1 U 2377/22) klargestellt: Wird der Fliesenfußboden in einem Supermarkt während der Öffnungszeiten nass gewischt, ist dies als Verletzung der Verkehrssicherungspflichten anzusehen, wenn keine ausreichenden Schutzmaßnahmen zu Gunsten der Kunden getroffen werden. Dem 79jährigen Kläger wurden 12.000,00 € Schmerzensgeld für eine beim Sturz erlittene Atlasfraktur zugesprochen.

Das Oberlandesgericht hat das Urteil wie folgt begründet:

 

Eine objektive Pflichtverletzung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu bejahen. Nach den Umständen des Einzelfalls haben die Mitarbeiter der Beklagten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.

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aa) Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden.

 

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Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, NJW 2007, 762, 763; BGH, NJW 2007, 1683, 1684). Dabei sind Sicherungsmaßnahmen umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind (BGH, NJW 2007, 762, 763). Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (BGH, NJW 2007, 1683, 1684).

 

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An die Sorgfaltspflichten der Inhaber großer Kaufhäuser und Verbrauchermärkte sind hinsichtlich der Auswahl und der Unterhaltung des Fußbodens strenge Anforderungen zu stellen; es ist zu gewährleisten, dass sich der Kunde bei normalem vernünftigem Verhalten sicher in den freigegebenen Räumen bewegen kann (BGH, Urteil vom 05.07.1994 – VI ZR 238/93, Rn. 13, juris). Der Verantwortliche hat alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um Kunden vor einem Sturz auf glattem oder rutschigem Boden zu bewahren. Im Innenbereich eines Supermarkts gehört dazu die Verhinderung von Nässe auf dem Boden. Denn Nässe auf dem Fußboden kann nach allgemeiner Erfahrung ein Ausrutschen und Stürzen verursachen, vor allem weil ein Besucher, der den Supermarkt betritt, damit normalerweise nicht rechnet und dem Fußboden im Geschäft keine besondere Aufmerksamkeit zuwendet (OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.05.2021 – 9 U 62/19, Rn. 15, juris). Daher sind Bodenbeläge in öffentlich zugänglichen Geschäftsräumen in angemessenen Abständen auf Gefahrenquellen wie Verunreinigungen, Feuchtigkeit usw. zu kontrollieren und diese dann alsbald zu beseitigen, da ein nasser oder verunreinigter Fußboden immer eine gewisse Gefahrenquelle darstellt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 10.12.2010 – 22 U 116/10, BeckRS 2011, 7132, beck-online).

 

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Der Verkehrspflichtige hat – soweit Verschmutzungen des Bodens für Glätte sorgen können – durch entsprechende Anweisungen für eine regelmäßige Bodenreinigung in kurzen Abständen zu sorgen, wobei die Intervalle zwischen den Reinigungsvorgängen von den jeweiligen Gegebenheiten wie Kundenzahl, Art der Waren und der Witterung abhängen (Hager in: Staudinger [2021], BGB § 823 E, Rn. 249 m.w.N.). Insbesondere sind Obst- und Gemüseverkaufsflächen in kurzen Abständen zu reinigen (OLG Koblenz, Urteil vom 27.09.1994 – 3 U 1595/93, juris). Bei Schnee und Regenwetter ist die an sich unvermeidbare Nässebildung in den Eingangsbereichen so weit zu beseitigen, dass sie in tragbaren Grenzen bleibt, Eingänge sind zu kontrollieren und die Feuchtigkeit in angemessenen Abständen aufzuwischen (Hager, a.a.O. m.w.N.). Durch die Reinigung selbst darf keine erhöhte Gefahr geschaffen werden (Hager, a.a.O.).

 

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bb) Danach ist eine Nassreinigung des Fußbodens während der Öffnungszeiten nicht prinzipiell ausgeschlossen, sondern unter Umständen sogar erforderlich, etwa wenn es darum geht, durch heruntergefallene Waren oder hereingetragene Feuchtigkeit entstandene Glätte zu beseitigen. Davon abzugrenzen ist die Frage, ob die tägliche (Standard-)Reinigung des gesamten Fußbodens während der Öffnungszeiten erfolgen darf. Dagegen spricht zunächst, dass im Innenbereich eines Supermarkts Nässe auf dem Boden grundsätzlich zu vermeiden ist. Der Betreiber des Supermarkts hat dafür zu sorgen, dass Kunden sich im Laden stets sicher bewegen können, während sie sich auf das Warenangebot konzentrieren. Dahinstehen kann die Frage, ob eine routinemäßige Nassreinigung des Bodens während der Öffnungszeiten stets als Verletzung der Verkehrssicherungspflichten anzusehen ist. Jedenfalls wären insoweit hohe Anforderungen an die Zulässigkeit solcher Reinigungsarbeiten zu stellen, die vorliegend nicht vollständig vorliegen:

 

- Der Umfang des Besucherverkehrs muss während der Reinigungsarbeiten überschaubar sein. In Zeiten höheren Kundenandrangs scheidet eine Reinigung des Bodens (soweit sie nicht der Beseitigung einer konkreten Gefahrenstelle dient) von Vornherein aus.

 

- Es darf durch die reinigungsbedingte Feuchtigkeit keine gefährliche Glätte entstehen. Daher muss der Boden auch in feuchtem Zustand hinreichende Rutschfestigkeit aufweisen, was durch Auswahl geeigneter Bodenbeläge zu gewährleisten ist. Die Wassermenge muss so gewählt werden, dass der Boden zügig wieder trocknen kann, um die Zeit der Rutschgefahr so gering wie möglich zu halten. Wasserpfützen auf dem Boden dürfen jedenfalls nicht entstehen.

 

- Die verwendeten Reinigungsmittel dürfen nicht zu zusätzlicher Rutschgefahr führen.

 

- Auf reinigungsbedingte Feuchtigkeit ist durch augenfällige Warnschilder hinzuweisen, damit sich die Kunden darauf einstellen können. Die Warnung muss dabei konkret auf die Gefahrstellen hindeuten und so auffällig sein, dass jeder Kunde bei der gebotenen Aufmerksamkeit Kenntnis davon nehmen kann.

 

- Die Kunden müssen gegebenenfalls die Möglichkeit haben, die feuchten Stellen zu umgehen. Personen, die aus bestimmten Gründen besonders sturzanfällig sind, können die betreffenden Stellen dann meiden.

 

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Nicht mehr hinzunehmen ist es somit, wenn während der Öffnungszeiten durch eine Standardreinigung erhebliche Nässe auf einem Fliesenboden großflächig zu einer Rutschgefahr führt und die Kunden dieser Gefahr nicht ausweichen können. Wird so großflächig nass gereinigt, dass „kein Vorbeikommen“ an den rutschigen Stellen mehr möglich ist, und ist der Weg zurück versperrt, etwa wie hier durch ein Drehkreuz am Eingang, das nur in eine Richtung funktioniert, dann fehlt es an der erforderlichen Umgehungsmöglichkeit.

 

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cc) Im Ergebnis der Beweisaufnahme hat das Landgericht zu Recht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter angenommen.

 

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(1.) Es gab zur Unfallzeit im Supermarkt der Beklagten in erheblichem Umfang Nässe auf dem Boden. Die Zeugin S. hat glaubhaft bekundet, dass der gesamte Laden mit nassen Stellen und Pfützen überzogen gewesen sei, was zu einer deutlichen Rutschgefahr geführt habe. Auch sie selbst habe sehr vorsichtig sein müssen. Unstreitig blieb, dass die abendliche Reinigung des Ladens bereits begonnen hatte. Dass es infolge dieser Reinigung erhebliche Nässe auf dem Boden des Ladens gegeben hatte, ergibt sich daneben aus weiteren Ergebnissen der Beweisaufnahme, insbesondere der informatorischen Anhörung des Klägers und der Vernehmung der Zeugin S… Die Angaben des Klägers selbst sind glaubhaft. In der erneuten informatorischen Anhörung vor dem Senat hat der Kläger seine bereits erstinstanzlich gemachten Angaben wiederholt, ohne dass Widersprüche erkennbar geworden wären. Der Kläger berichtete lebensnah und detailreich. Auch mit Blick auf das eigene Interesse des Klägers am Ausgang des Rechtsstreits hält der Senat dafür, dass der Kläger wahrheitsgetreu berichtet hat. Seine Darstellung wird vom Ergebnis der Beweisaufnahme im Übrigen gestützt. Dass der Kläger den Laden wieder verlassen wollte, ohne weiter mit seiner Ehefrau einzukaufen, ergibt sich aus dem Umstand, dass er sich allein in Richtung Ausgang bewegte, während seine Frau den Einkauf fortsetzte. Der Umstand, dass ihn die Feuchtigkeit auf dem Boden störte, ist auch durch die Angaben der Zeugin T… belegt, die seine Beschwerde entgegennahm. Dass dem Kläger der – bis dahin trockene – Weg von dem feuchten Abschnitt zurück und aus dem Laden hinaus durch das Einlass-Drehkreuz versperrt war, ist auch von Beklagtenseite nicht in Abrede gestellt worden.

 

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Die Zeugin S. hat ebenfalls glaubhaft angegeben, dass im Laden Pfützen zu sehen waren und der Kläger deshalb – nach Bemerken derselben – auf dem kürzesten Weg zum Ausgang gegangen sei. Es sei praktisch überall feucht gewesen. Schließlich ergibt sich aus den Angaben der Zeugen T… und E., die als Mitarbeiter der Beklagten vor Ort waren, dass die Reinigungsarbeiten bereits begonnen hatten, bevor es zum Sturz des Klägers kam. Konkrete Wahrnehmungen zum Ausmaß der Nässe konnten beide aber nicht mehr machen. Die Zeugin T… hat allerdings angegeben, lediglich die oberen Teile des Kassenbereichs (also nicht den Fußboden) saubergemacht zu haben, als der Kläger sie angesprochen habe.

20Im Ergebnis steht fest, dass in erheblichem Umfang Nässe auf den Fliesen vorhanden war und sogar einige Pfützen zu sehen waren und dies zu einer Rutschgefahr im Laden führte. Anderenfalls hätte die Zeugin S… auch keinen Anlass gehabt, den an zwei Unterarmstützen laufenden Kläger vor seinem Sturz noch spontan vor den Bodenverhältnissen im Laden zu warnen.

 

21Eine erneute Vernehmung der erstinstanzlich gehörten Zeugen ist nicht geboten. Der Senat misst den Angaben dieser Zeugen keine andere Beurteilung bei als das Landgericht. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist insoweit auch nicht zu beanstanden.

 

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(2.) Ein weiterer Pflichtverstoß liegt darin, dass keine Ausweichmöglichkeit für besonders sturzanfällige Personen offen blieb. Glaubhaft schilderte der Kläger in seiner Anhörung, dass er nach Bemerken des Bodenzustands sofort in Richtung Ausgang gegangen sei. Ein Umwenden nach Durchqueren des Drehkreuzes am Eingang war dem Kläger nicht möglich, da das Drehkreuz nur in eine Richtung funktioniert. So blieb dem Kläger nichts anderes übrig, als mit seinen beiden Unterarmstützen vorsichtig in Richtung des Ausgangs zu gehen. Ein Ausweichen des Klägers auf einen trockenen Weg war nicht möglich.

 

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(3.) Ob der Beweis dafür erbracht wurde, dass ein deutlich sichtbares Warnschild fehlte, kann letztlich dahinstehen.

 

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Zwar haben die Zeugen T… und E… bekundet, dass es der üblichen Prozedur entspreche, Warnschilder vor dem Eingang und vor der gewischten Fläche aufzustellen. Konkrete Erinnerungen an den Unfalltag lassen die Aussagen aber – durchaus nachvollziehbar – nicht erkennen. Auch haben beide nach dem Unfall keine Kontrolle der Räumlichkeiten auf einen verkehrssicheren Zustand des Bodens und eine ausreichende Wahrnehmbarkeit etwa aufgestellter Warnschilder vorgenommen. Selbst wenn unterstellt wird, dass Warnschilder zu Beginn der Arbeiten aufgestellt worden waren, wie es routinemäßig gehandhabt wurde: Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass ein solches Schild umgestoßen oder weggeschoben wird. Die weiteren Zeugen haben keine Warnschilder wahrgenommen, haben darauf aber auch kein besonderes Augenmerk gelegt. Zwar ist nach der informatorischen Anhörung des Klägers davon auszugehen, dass er bei einer ausreichend klaren Warnung bereits vor dem Eingang den Laden gar nicht erst betreten hätte. Jedoch hat der Kläger zugleich angegeben, dass er stets nach unten auf den Boden schaue, um seine Unterarmstützen sicher aufzusetzen, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger ein Warnschild übersehen hat.

 

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Ein etwa fehlendes Warnschild im Laden könnte aber für den Unfall nicht mehr ursächlich geworden sein. Denn im Laden war dem Kläger bereits vor dem Sturz bewusst geworden, dass der Boden teils nass ist. Ein möglicherweise vor dem Eingang aufgestelltes Warnschild musste von den Kunden nicht dahin verstanden werden, dass der Boden im Supermarkt so großflächig nass ist, dass der Markt keinesfalls ohne Betreten feuchter Stellen passiert werden könnte.

 

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b) Nachdem eine objektive Pflichtverletzung erwiesen ist, streitet für die Kausalität dieser Pflichtverletzung für den Sturz bereits ein Anscheinsbeweis (OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.05.2021 – 9 U 62/19, Rn. 17, juris). Voraussetzung ist lediglich, dass der Kläger gerade in dem räumlichen Bereich gestürzt ist, der von Feuchtigkeit auf dem Boden betroffen war. Dies ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Fall.

 

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Die konkrete Sturzstelle befand sich in dem Bereich oder zumindest in unmittelbarer Nähe des Bereichs, der zuvor gewischt wurde, ohne dass der Kläger die Möglichkeit hatte, einen anderen – sichereren – Weg aus dem Laden heraus zu wählen. Schon die Angabe der Zeugin T., Mitarbeiterin der Beklagten, dass der Kläger – der ihr gegenüber die erhebliche und großflächige Feuchtigkeit des Bodens beanstandet hatte – vorsichtig weitergehen möge, spricht für das Vorhandensein von Nässe an dieser Stelle. Besondere Vorsicht beim Weitergehen war aber nur geboten, wenn an dieser Stelle tatsächlich eine Rutschgefahr durch Feuchtigkeit bestand. Dies hat die Zeugin auf Nachfrage des Gerichts ausdrücklich bestätigt (Protokoll vom 14.12.2021, S. 5). Zwar meinte die Zeugin auch, der Kläger sei einige Schritte weiter an einer trockenen Stelle gestürzt, wo die Wischmaschine gar nicht durchgepasst hätte. Jedoch hat die Zeugin T. nach eigenem Bekunden den Sturz selbst gar nicht gesehen, da sie direkt nach dem Gespräch mit dem Kläger von diesem weggegangen sei.

 

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Die Zeuginnen M… und S… hatten konkret zu der Frage, ob es an der Sturzstelle Feuchtigkeit auf dem Boden gegeben habe, keine konkrete Erinnerung mehr, was nach einem zeitlichen Abstand von mehr als 3,5 Jahren zum Unfall wenig überraschend ist. Von der Zeugin M… liegt allerdings insoweit eine frühere schriftliche Stellungnahme vor, dass der Boden dort an der Sturzstelle nass gewesen sei. Dass diese Angaben von ihr stammten, hat die Zeugin noch bestätigen können. Für den Vollbeweis des Umstands, dass der Boden an der Sturzstelle nass gewesen sei, genügt dies zwar noch nicht. Als Indiz kann diese schriftliche Erklärung vom 03.04.2019 (Bl. 229 d.A.) dennoch herangezogen werden, da keine Zweifel daran bestehen, dass die Zeugin wenige Sekunden nach dem Unfall beim Kläger war und die Erklärung vom 03.04.2019 selbst niedergeschrieben hat.

 

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Ebenso hat die Zeugin S… Feuchtigkeit an dieser Stelle bejaht. Zur Situation an der Sturzstelle hat die Zeugin dabei zunächst angegeben, sich nur noch an den Wischmop und den Eimer der Verkäuferin zu erinnern. Nachvollziehbar ist dabei, dass die Zeugin vor Ort andere Sorgen hatte als den Boden zu untersuchen. Auf Vorhalt ihrer Angaben vom 26.04.2022 hat die Zeugin S… dann ausgesagt, dass es so gewesen sei, wie sie damals gesagt habe, also dass am Sturzort selbst Nässe vorhanden gewesen sei. Für einen Beweis des Umstands, dass der Boden konkret am Sturzort nass war, genügen diese Angaben für sich gesehen nicht.

 

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Schließlich waren auch hier die glaubhaften Angaben des Klägers selbst zu berücksichtigen, der allerdings zur Ursache des Sturzes nur berichten konnte, dass ihm die linke Gehhilfe weggerutscht sei und er vermute, dass es durch Reinigungsmittel eine besonders glatte Stelle auf dem Boden gegeben habe.

 

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Im Ergebnis ist der Senat – ebenso wie schon das Landgericht – davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund der Nässe auf dem Boden zu Fall gekommen ist. Die Voraussetzungen für die Anwendung eines Anscheinsbeweises liegen vor. Der Kläger ist im Bereich der frisch gereinigten und noch nassen Bodenfliesen gestürzt. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger – wie in seiner informatorischen Anhörung angegeben – direkt im Anschluss an das Gespräch mit der Zeugin T… noch in der Drehung Richtung Ausgang war, als ihm eine Unterarmstütze wegrutschte. Dieser Bereich war selbst nach Aussage der Zeugin T… nass.

 

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Selbst wenn man zum weiteren Ablauf die der Beklagten günstige Aussage der Zeugin T… zu Grunde legen wollte, wäre der Kläger noch im Übergangsbereich zwischen dem frisch gereinigten und dem noch trockenen Boden gestürzt. Dass er womöglich bereits einen oder zwei Schritte in einen trockenen Bereich gemacht haben könnte, hebt die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises für die Kausalität nicht auf. Nach allgemeiner Lebenserfahrung verschwindet Nässe an Schuhsohlen oder an den Enden von Unterarmstützen nicht sofort, wenn ein nasser Bereich verlassen wird.

 

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c) Hinsichtlich der subjektiven Pflichtverletzung ist die Beweislast umgekehrt, § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Beweisaufnahme ergab nichts, was für ein ausnahmsweise fehlendes Verschulden der Beklagten – der hier die sichere Organisation von Reinigungsarbeiten während der Öffnungszeiten oblag – oder ihrer Mitarbeiter spräche.

 

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4. Relevantes oder gar anspruchsausschließendes Mitverschulden des Klägers ist nicht erkennbar. Dass der Kläger die Nässe auf dem Boden wahrgenommen hat und sogar eine Mitarbeiterin der Beklagten noch auf die aus seiner Sicht unhaltbaren Zustände hingewiesen hat, beweist nicht, dass der Kläger unvorsichtig oder ohne Beachtung der angemessenen Sorgfalt weitergelaufen ist und deshalb zum Sturz kam. Immerhin war der Kläger an zwei Unterarmstützen unterwegs und daher auf glattem Boden besonders sturzanfällig.

 

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Dass der Kläger vom Betreten des Ladens bereits hätte Abstand nehmen müssen, weil ein Schild vor Bodenglätte und Reinigungsarbeiten gewarnt hätte, ist ebenfalls nicht erwiesen. Die Zeuginnen T… und E… vermochten insoweit nur die jeweilige Standardprozedur zu schildern. Sie haben also ausgesagt, dass stets ein Schild aufgestellt wurde, wenn gereinigt wurde, weil dies so vorgeschrieben sei. Wie es an dem konkreten Tag war, vermochten sie (nachvollziehbar) nicht mehr anzugeben. Die weiteren Zeugen haben von einem entsprechenden Schild nichts mitbekommen. Womöglich war ein Schild auch vorhanden, aber so aufgestellt, dass es keinen ausreichenden Warneffekt erzielte. Nach dem Betreten des Ladens konnte der Kläger nicht mehr auf dem gleichen Wege zurückgehen, da unbestritten am Eingang ein Drehkreuz ist, welches nur in eine Richtung Durchlass gewährt.

 

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Der Vortrag der Beklagten, der Sturz sei auf ein gravierendes Fehlverhalten des Klägers selbst zurückzuführen, da dieser ja die Feuchtigkeit gesehen habe und besonders vorsichtig hätte sein müssen, ist durch nichts belegt. Insbesondere spricht der Umstand, dass dem Kläger in Kenntnis der Feuchtigkeit auf dem Boden eine Gehhilfe weggerutscht ist, keinesfalls für ein sorgloses Verhalten des Klägers.

 

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Auch der Einwand der Beklagten, der Kläger hätte beim Verlassen des Geschäftes um Hilfe bitten können, zumal er sein erhöhtes Sturzrisiko gekannt habe, führt nicht zu einem Mitverschulden des Klägers. Unstreitig hatte sich der Kläger vor dem Sturz an die Mitarbeiterin T… gewandt, zwar nicht mit der Bitte um Hilfe, aber mit einer Beanstandung der Feuchtigkeit auf dem Boden. Die Mitarbeiterin verwies den Kläger schlicht darauf, eben vorsichtig zu sein, drehte sich um und ging, ohne dem erkennbar gehbehinderten Kläger Hilfe beim Verlassen des Ladens anzubieten.

 

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5. Das Schmerzensgeld von 12.000,00 EUR ist mit Blick auf die konkret vom Kläger vorgetragenen und bewiesenen Beeinträchtigungen angemessen.

 

39a) Der Kläger erlitt eine doppelseitige vordere Altasbogenfraktur und eine nicht dislozierte hintere Altasbogenfraktur sowie eine Platzwunde am Kopf. Der Atlas ist der erste Halswirbel. Eine Operation an der Halswirbelsäule war zunächst vorgesehen, wurde aber dann wegen der damit verbundenen Risiken (Gefahr einer Querschnittslähmung) nicht durchgeführt. Der Kläger musste für 10 Wochen eine Halskrause tragen. Wegen seiner Vorerkrankung (Glasknochenkrankheit) hinderte die Halskrause ihn am Verlassen seines Betts. Denn für die sichere Benutzung seiner Unterarmstützen muss der Kläger nach unten schauen, während er die Stützen aufsetzt, was mit der Halskrause nicht möglich war. In der Folge des Sturzes und der erzwungenen 10-wöchigen Immobilität, die mit einem Muskelabbau verbunden war, ist der inzwischen 79-jährige Kläger seither deutlich weniger mobil und muss seinen Alltag – anders als zuvor – überwiegend mittels Nutzung eines Rollstuhls bestreiten, den er vor dem Unfall lediglich bei längeren Spaziergängen nutzte.

 

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Das Oberlandesgericht Hamm hat für folgende Verletzungen nach einem Verkehrsunfall ein Schmerzensgeld von 10.000,- EUR zugesprochen (Urteil vom 13.07.2010, Az. 9 U 11/10): HWK-Fraktur des 6. Wirbelkörpers, 6 Wochen Halskrawatte, Operation (Einbringen einer Titan-Verriegelungsplatte mit operativer Versteifung der 5. bis 7. Halswirbel vorn), stationäre Reha-Maßnahme für 3 Wochen, endgradige Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main sprach für eine Halswirbelfraktur und eine Brustwirbelkörperfraktur ebenfalls 10.000,- EUR unter folgenden Umständen zu: 9 Tage stationäre Behandlung, Unfallfolgen auch nach 3 Jahren nicht völlig abgeklungen, Dauerschaden: MdE 10%, Bewegungseinschränkungen der Kopfbeweglichkeit, keine operative Versorgung möglich (OLG Frankfurt, zitiert nach beck-online.SCHMERZENSGELD 6059, beck-online). Für einen ärztlichen Behandlungsfehler (Halswirbelkörperfraktur bei der Behandlung übersehen), aufgrund dessen es vorübergehend zu einem erheblichen inkompletten Querschnittssyndrom kam, hat das Oberlandesgericht Oldenburg 7.669,- EUR zugesprochen, wobei die Symptome sogar dazu führten, dass der Hausarzt des Geschädigten für betrunken hielt und deshalb eine Behandlung ablehnte, ein feststellbarer Dauerschaden aufgrund des Behandlungsfehlers nicht aber zurückgeblieben ist, auch eine Regulierungsverzögerung vorlag (OLG Oldenburg, zitiert nach beck-online.SCHMERZENSGELD 5640, beck-online).

 

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Unter Berücksichtigung der Schwere der Verletzungen und der Folgen für den Kläger einerseits und der o.g. Entscheidungen, die zur Orientierung herangezogen werden können, ist ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000,- EUR angemessen. Das vom Oberlandesgericht Hamm (s.o.) im Jahr 2010 für ähnliche Verletzungen zugesprochene Schmerzensgeld von 10.000,- EUR wäre allein nach Inflationsbereinigung auf ca. 12.000,- EUR anzuheben. Der Kläger hat zwar keine Operation über sich ergehen lassen müssen, dies aber nur deshalb, weil ein operativer Eingriff zu gefährlich gewesen wäre. Das 10-wöchige Tragen einer Halskrause ist für den Kläger deshalb besonders einschneidend gewesen, weil er wegen seiner Gehbehinderung dadurch praktisch immobil wurde. Dass der Kläger seither weitgehend nur noch mit dem Rollstuhl unterwegs sein kann, hat die Ehefrau des Klägers, die Zeugin S…, glaubhaft bestätigt. Zudem können die Angaben des Klägers aus seiner informatorischen Anhörung zu Grunde gelegt werden. Der Senat glaubt dem Kläger, der unter anderem die praktischen Probleme des Rollstuhltransports im Privatfahrzeug und die entwickelten Lösungsstrategien dafür ausführlich darlegte. Mithin war der Unfall für den Kläger sehr einschneidend, da er seither – also seit über 4,5 Jahren erheblich in seinen Fortbewegungsmöglichkeiten eingeschränkt ist. Dabei war andererseits zu sehen, dass der 79-jährige Kläger bereits vor dem Unfall nicht mehr uneingeschränkt mobil war und mit fortschreitendem Alter keine Verbesserung, sondern eher eine Verschlechterung dieser Situation zu erwarten stand.

 

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Ferner ist das Regulierungsverhalten der Beklagten im Prozess schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen. Dem stark gehbehinderten Geschädigten ein gravierendes (haftungsausschließendes) Fehlverhalten zu unterstellen, ohne dafür objektiv den geringsten Anhaltspunkt zu haben, erscheint nicht mehr als nachvollziehbare Verteidigung gegen die geltend gemachten Ansprüche. Daraus, dass der Kläger die Feuchtigkeit des Bodens bemerkt hat, folgt offensichtlich kein besonders gravierendes Eigenverschulden des Klägers. Die maßgebliche Gefahr des Ausgleitens ist in erster Linie durch die Reinigungsarbeiten und den dadurch feuchten Boden gesetzt worden, nicht durch ein Verhalten des Klägers.

 

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Andererseits ist auch der Pflichtverstoß der Beklagten bzw. ihrer Mitarbeiter im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht als gravierend anzusehen ist. Es gibt keine allgemein anerkannte Regel dahingehend, dass Reinigungsarbeiten während der Öffnungszeiten stets unzulässig wären.

 

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Die besondere Schadensanfälligkeit des Klägers (Glasknochenkrankheit) ist als solche nicht schmerzensgeldmindernd zu berücksichtigen, denn einen Anspruch auf einen „gesunden Geschädigten“ gibt es nicht. Die besondere Schadendisposition des Verletzten fällt in den Risikobereich des Schädigers (Slizyk, Schmerzensgeld-HdB, 19. Aufl. 2023, Rn. 55 m.w.N.).

45b) Ein Sachverständigengutachten zu den Verletzungsfolgen, wie die Beklagte beantragt hat, war nicht einzuholen. Da es nicht um die Primärverletzung geht, ist der Anwendungsbereich von § 287 Abs. 1 Satz 2 ZPO eröffnet. Die Beklagte hat das Sachverständigengutachten als Beweis für ihre Behauptung angeboten, bei den vom Kläger behaupteten Unfallfolgen handele sich um degenerative Veränderungen. Gegen allein degenerative (also verschleißbedingte) Ursachen spricht allerdings bereits der klare zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und der weiter eingeschränkten Mobilität des Klägers. Dass es nach 10-wöchiger Immobilität zu einem Muskelabbau kommt, ist im Übrigen allgemein bekannt. Hierfür benötigt der Senat kein Sachverständigengutachten. Dass gerade der schon zuvor gehbehinderte und betagte Kläger durch eine 10-wöchige „Zwangspause“ besonders und fortwirkend in seiner Mobilität eingeschränkt wurde, liegt auf der Hand. Zudem hat der Kläger glaubhaft erläutert, dass er seit dem Sturz und der erlittenen Fraktur der Halswirbelsäule Angst vor Schwindelanfällen habe und auch deshalb eher auf den Rollstuhl zurückgreife als früher. Das sind rein psychische Folgen, die mit degenerativen Veränderungen nichts zu tun haben.

 

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6. Hinsichtlich des materiellen Schadens ist nur noch ein Teil der erstinstanzlich geltend gemachten Beträge streitgegenständlich, weil das Landgericht insoweit einen Teil der Klage abgewiesen hat. Eine Berufung des Klägers ist nicht eingelegt.

 

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Konkret beanstandet die Beklagte mit ihrer Berufung noch die 22,00 €, die für ein Therapieband zugesprochen wurden. Insoweit sei kein Zusammenhang zum Unfall erkennbar. Der Senat hat hier von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Schadenshöhe nach § 287 Abs. 1 ZPO zu schätzen. Nach der informatorischen Anhörung des Klägers ist der Senat überzeugt, dass der Kläger das Therapieband erworben hat, um während seiner längeren Bettlägerigkeit (10 Wochen, s.o.) zumindest ein gewisses Muskeltraining durchführen zu können. Die Aufwendungen sind in dieser Höhe angemessen und durch eine Quittungskopie belegt (Anlage K3).

 

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7. Zutreffend ist allerdings der Einwand der Berufung, dass eine Unfallkostenpauschale bei Unfällen aufgrund Verkehrspflichtverletzung grundsätzlich nicht zugesprochen werden kann.

 

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Zwar hat das Landgericht die Pauschale mit der Erwägung zugesprochen, dass dem Kläger offenbar Auslagen entstanden seien, da er Schriftverkehr mit der Versicherung geführt habe. Gegen eine entsprechende Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Allerdings hatte der Kläger zu den Umständen, die einer solchen Schätzung zugrunde gelegt werden können, nicht ausreichend vorgetragen, auch nicht ergänzend auf die Berufung der Beklagten hin. Eine belastbare Schätzgrundlage fehlte daher. Auf die Berufung der Beklagten hin war das angefochtene Urteil entsprechend abzuändern und die zugesprochene Summe um 20,00 EUR zu kürzen.

 

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8. Zinsen auf die Hauptsumme stehen dem Kläger erst ab dem auf die Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs folgenden Tag bzw. ab dem auf den Verzugseintritt folgenden Tag zu, § 187 Abs. 1 BGB entsprechend (vgl. BGH, Urteil vom 24.01.1990 – VIII ZR 296/88, Rn. 25, juris). Der Zinsausspruch ist daher um jeweils einen Tag zu kürzen.

 

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9. Zutreffend hat das Landgericht dem Feststellungsantrag des Klägers stattgegeben. Ein entsprechendes Feststellungsinteresse besteht bereits dann, wenn es nicht fern liegt, dass nach einem Unfall weitere künftige Schadensfolgen eintreten können. Dies ist bei Knochenbrüchen in aller Regel der Fall, hier insbesondere deshalb, weil eine Fraktur der Halswirbelsäule vorlag.

 

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10. Dass der Kläger sich nach einem erfolglosen eigenen Anschreiben an die Versicherung der Beklagten an einen Rechtsanwalt gewandt hatte, liegt im Rahmen er angemessenen Rechtsverfolgung. Die entsprechenden Kosten sind als weitere Schadensfolge zu ersetzen. Unabhängig davon war mit der ablehnenden Antwort der Versicherung der Beklagten auf ein Schreiben des Klägers (Anlage B1) bereits Verzug der Beklagten eingetreten (§ 286 Abs. 2 BGB).

53Das Bestreiten der Beklagten, dass die Anwaltskosten schon gezahlt wurden, ist unbeachtlich. Nachdem die Beklagtenseite die Regulierung abgelehnt hat, ist ein entsprechender Freistellungsanspruch jedenfalls in einen Zahlungsanspruch umgeschlagen.

54Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Forderung gemäß § 86 Abs. 1 VVG auf eine Rechtsschutzversicherung übergegangen ist, gibt es nicht. Der Kläger hat vorgetragen, dass keine Rechtsschutzversicherung eingetreten sei. Umstände, die auf das Gegenteil schließen lassen könnten, sind weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt.