Voraussetzungen für die konkrete Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung

Das OLG Saarbrücken hat mit Urteil vom 05.04.2023 (Aktenzeichen: 5 U 43/22) klargestellt:  Die den Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung auf eine andere, konkret ausgeübte Tätigkeit verweisende Einstellungsmitteilung bedarf, um nachvollziehbar zu sein, zwar keiner näheren Angaben zu dieser anderen, ihm bekannten Tätigkeit. Der Versicherer muss darin aber erläutern, weshalb er meint, den Versicherungsnehmer auf diesen anderen Beruf verweisen zu können. Dazu gehört auch, dass er die nach seiner Meinung vergleichbare Wertschätzung wenigstens ansatzweise begründet. Die Fortsetzung der früheren Tätigkeit als Vorarbeiter in Wechselschicht kann sich als für den Versicherungsnehmer unzumutbar erweisen, wenn dieser zuvor bereits einen Herzinfarkt erlitten hatte und sich dadurch das Risiko, dass es zu einer erneuten Erkrankung bzw. zu einem Fortschreiten der Erkrankung kommt, nach sachverständigen Feststellungen „potenziert“.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Der am ... 1963 geborene Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Er ist seit 1. November 2016 versicherte Person und Bezugsberechtigter aus einem „Kollektivversicherungsvertrag“, den sein Arbeitgeber, die S. AG, unter der Versicherungsausweis-Nr. … bei der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der G. unterhält. Als versicherte Leistungen im Falle der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit sind die Zahlung einer monatlichen Rente in Höhe von 1.200,- Euro sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht vereinbart; Versicherungsablauf ist der 1. Januar 2030, der Monatsbeitrag beträgt 155,66 Euro. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Firmenkundenlebensversicherung, die Besonderen Bedingungen für die Direktversicherung nach § 3 Nr. 63 EStG, die Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeitstarife, die Besonderen Bedingungen für den Tarif BR01 sowie die Tarifbedingungen für den Tarif PR01 zugrunde. Der Kläger war vormals als Vorarbeiter der technischen Laboratorien der S. AG in V. beruflich tätig. Mit Schreiben vom 18. Januar 2019 machte er Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit ab 1. August 2018 geltend, die er mit orthopädischen, kardiologischen und psychischen Einschränkungen begründete. Nach Rücksendung eines Fragebogens teilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 13. November 2019 mit, dass keine Ansprüche anerkannt würden. Daraufhin beauftragte der Kläger seine späteren Prozessbevollmächtigten, die die Beklagte mit Schreiben vom 7. Januar 2020 aufforderten, ihre Eintrittspflicht anzuerkennen. Die Beklagte kündigte eine Überprüfung an, weitere Mitteilungen erfolgten nicht. Seit 1. Mai 2019 hat der Kläger eine andere Tätigkeit bei seinem ehemaligen Arbeitgeber aufgenommen. Die Beklagte hat daraufhin im Rechtsstreit vorsorglich (hilfsweise) die „Leistungseinstellung unter Bezugnahme auf die Aufnahme einer konkreten Verweisungstätigkeit zum 1. Mai 2019“ erklärt (Schriftsatz vom 24. Juni 2020, Bl. 26 GA).

 

Der Kläger hat zur Begründung seiner am 29. April 2020 zugestellten, zuletzt auf rückständige Leistungen ab dem 1. Dezember 2018 gerichteten Klage behauptet, die technischen Laboratorien der S. AG bearbeiteten im Auftrag anderer Unternehmensteile Werkstücke, die von diesen übersandt würden, um die Qualität zu überprüfen. Seine Aufgabe als Vorarbeiter sei es gewesen, die Organisation und Planung der Arbeitsabläufe seines Teams vorzunehmen. Er habe die Fachkräfte angeleitet und eingewiesen und darüber hinaus die Prozesse des technischen Laboratoriums organisiert, kontrolliert und selbst durchgeführt. Diese Tätigkeit werde nur im Schichtdienst ausgeübt, er habe regelmäßig in Früh-, Mittags- und Nachtschicht im Wechsel gearbeitet, dabei sei er an fünf Tagen die Woche für jeweils acht Stunden tätig gewesen. Innerhalb der einzelnen Schichten seien unterschiedliche Tätigkeiten angefallen, die konkreten Aufgaben seien von der Auftragslage abhängig gewesen. Als Vorarbeiter sei er Ansprechpartner sowohl für seine Mitarbeiter als auch für die anderen Abteilungen des Unternehmens gewesen. Bei Schichtbeginn habe er zunächst die Fachkräfte an den verschiedenen Maschinen eingewiesen und angeleitet. Sodann habe er die jeweilige Terminarbeit – einen Prüfauftrag mit technischer Zeichnung des Auftraggebers – kontrolliert und an die jeweiligen Fachkräfte für die Herstellung von Proben weitergeleitet. Der Ablauf sei sodann mit den Fachkräften besprochen worden, nach Fertigstellung habe er die Proben anhand der Zeichnung kontrolliert und sie an die Prüflabore weitergeleitet, hierbei mit dem jeweiligen Sachbearbeiter Termine bestimmt und zeitnah umgesetzt. Hierzu sei auch eine regelmäßige Absprache mit der Werkstattleitung erforderlich gewesen. Außerdem habe er neue Mitarbeiter einweisen und an den Maschinen anlernen müssen, die Anwesenheitsliste der Mitarbeiter geführt, die Arbeitsaufträge erfasst und ausgeführt. Von der 8stündigen Tätigkeit habe er regelmäßig 4 Stunden oder mehr im Gehen und Stehen mit der Überwachung, Anleitung und Beratung der Mitarbeiter verbracht. Seit dem 1. August 2018 sei er voraussichtlich sechs Monate lang aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, seinen früheren Beruf auszuüben; dieser Zustand habe auch während des anschließenden Zeitraumes von sechs Monaten ununterbrochen bestanden. Zunächst sei er wegen eines Bandscheibenvorfalles im Bereich der Halswirbelsäule arbeitsunfähig erkrankt gewesen und habe an chronischen Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule, einem Taubheitsgefühl in den Fingern der rechten Hand und dadurch bedingten Schlafstörungen gelitten. Eine für November 2018 vorgesehene operative Versorgung sei bis heute nicht durchgeführt worden, weil im Zuge der Voruntersuchungen eine koronare Herzerkrankung festgestellt worden sei. Am 2. November 2018 habe er ein retrosternales Druckgefühl verspürt, am 8. November 2018 sei er bei einem auffälligen EKG mit dem Bild eines subakuten Hinterwandinfarktes in die S.-Klinik V. verbracht worden, dort seien bei einer Angiographie eine koronare Gefäßerkrankung diagnostiziert worden und die Implantation zweier Drug-Eluting-Stens in die RCA erfolgt, im Anschluss hieran habe noch eine Anschlussbehandlung in der H.-Klinik stattgefunden. Infolge dieser Erkrankung könne er seine frühere, durch Schichtarbeit und das Heben und Tragen von schweren Lasten geprägte und anders nicht zu realisierende Berufstätigkeit nicht mehr ausüben. Auch eine Verweisung auf die am 1. Mai 2019 neu aufgenommene Tätigkeit scheide aus. Diese könne er nur unter Einnahme starker Schmerzmedikamente ausüben, nachdem eine operative Versorgung der HWS-Problematik aufgrund der Herzproblematik bislang unterblieben und nicht zumutbar sei, was auf Dauer zu einem Raubbau an der Gesundheit führe. Außerdem sei diese Tätigkeit mit seinem früheren Beruf weder in wirtschaftlicher noch in sozialer Hinsicht vergleichbar. Es handele sich um die Tätigkeit eines „Allgemeinarbeiters“, sie beinhalte nur noch das Erfassen der Prüfaufträge von anderen Abteilungen im PC und die Weitergabe an den jeweiligen Vorarbeiter in der Zeit von 8 bis 16 Uhr, nicht mehr dagegen auch das selbständige Abarbeiten der Aufträge. Eine solche Stelle habe es zuvor nicht gegeben, sie sei aus Kulanz des Arbeitgebers für ihn eingerichtet und ihm zugeteilt worden, um ihm trotz seiner Erkrankungen eine weitere berufliche Tätigkeit zu ermöglichen. Er habe keine Leitungskompetenz mehr, dürfe die Arbeiten nicht mehr einteilen oder andere Personen einweisen und er sei auch nicht mehr Ansprechpartner für andere Personen. Während er vor der Erkrankung eine monatliche „Normalvergütung“ von 3.312,08 Euro (brutto) mit Auszahlungsbeträgen in Höhe von 2.501,28 Euro und 2.603,75 Euro erzielt habe, habe seine „Normalvergütung“ ab Mai 2019 nur noch 2.658,48 Euro betragen und zu Nettoauszahlungen von ca. 2.459,32 Euro geführt; dies beruhe aber nur darauf, dass er von seinem Arbeitgeber auch eine sog. „Altersverdienstsicherung“ in Höhe von 1.039,67 Euro erhalte, die keinen Lohnbestandteil darstelle, sondern aufgrund einer Betriebsvereinbarung geleistet werde und bei deren Änderung entfallen könne, und während deren Bezuges er auch keine Nebentätigkeiten ausüben dürfe bzw. entsprechende Vergütungen angerechnet würden.

 

Die Beklagte hat behauptet, bei der früheren Tätigkeit des Klägers habe es sich um eine leichte Tätigkeit gehandelt; er habe sie ausweislich der Arbeitsplatzbeschreibung seines Arbeitsgebers zu 60 Prozent im Sitzen, zu 20 Prozent im Stehen und zu 20 Prozent im Gehen ausgeübt, das Heben und Tragen von Lasten sei allenfalls bis 7 kg erforderlich gewesen. Ausweislich des Entlassungsberichts der H.-Klinik sei der Kläger aus kardiologischer Sicht in der Lage, 6 Stunden und mehr zu arbeiten. Die Einschränkungen auf orthopädischem Gebiet bedingten nur mittlere Beeinträchtigungen oder beträfen Arbeiten über Kopf und unter Rotation der HWS, die der Kläger nicht leisten müsse. Dass bei der Schichtarbeit ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse bestehe, reiche für die Annahme einer Berufsunfähigkeit nicht aus. Jedenfalls sei eine Verweisung des Klägers auf seine nunmehr ausgeübte Tätigkeit möglich, selbst wenn es mangels Berufsunfähigkeit bei der Ablehnungsentscheidung der Beklagten nicht darauf angekommen sei; denn hierbei handele es sich um eine Tätigkeit, die der Kläger sowohl in gesundheitlicher Hinsicht als auch aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeit ausüben könne und die in Wahrung seines sozialen Status und seiner wirtschaftlichen Verhältnisse erfolge. Beim Vergleich der Einkünfte seien die Leistungen aus der Betriebsvereinbarung wie eine Zulage zu berücksichtigen, da es sich um regelmäßige Zahlungen handele, die im Zusammenhang mit dem Beruf stünden und sich positiv auf das Einkommen auswirkten.

 

Das Landgericht Saarbrücken hat den Kläger informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen S. sowie durch Einholung eines medizinischen (kardiologischen) Sachverständigengutachtens. Mit dem angefochtenen, durch Senatsbeschluss vom 22. März 2023 gemäß § 319 ZPO berichtigten Urteil (Bl. 233 ff., 325 f. GA), auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat es die Beklagte entsprechend den zuletzt gestellten Anträgen dazu verurteilt, an den Kläger 21.600,- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 16.800,- Euro ab dem 13. November 2019 sowie jeweils aus weiteren 1.200,- Euro ab dem 2. Dezember 2019, 2. Januar, 2. Februar und 2. März 2020 zu zahlen, an den Kläger ab dem 1. Juni 2020 bis längstens 1. Januar 2030 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente aus dem Versicherungsvertrag zum Kollektivversicherungsvertrag mit der Versicherungsausweis Nr. … in Höhe von jeweils 1.200,- Euro zuzüglich 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu zahlen, an den Kläger 2.801,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.179,24 Euro ab dem 13. November 2019 sowie jeweils aus weiteren 155,66 Euro ab dem 2. Dezember 2019, 2. Januar, 2. Februar und 2. März 2020 zu zahlen, ihm Beitragsbefreiung zum Versicherungsvertrag mit der Versicherungsausweis Nr. … vom 1. Januar 2020 bis längstens 1. Januar 2030 zu gewähren sowie an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.879,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Es hat den Kläger für bedingungsgemäß berufsunfähig gehalten; dieser sei aufgrund seiner kardiovaskulären Erkrankung und des damit einhergehenden Risikos weiterer gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage, im Schichtsystem zu arbeiten und insbesondere Nachtschichten wahrzunehmen, infolgedessen sei ihm die Ausübung prägender Merkmale seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr möglich. Eine Verweisung auf die von ihm seit dem 1. Mai 2019 ausgeübte neue Tätigkeit scheide mangels Vergleichbarkeit der sozialen Wertschätzung aus.

5Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung bekämpft die Beklagte ihre erstinstanzliche Verurteilung in vollem Umfange. Sie wendet sich vorrangig gegen die Annahme, dass schon die bloße Erhöhung des kardiovaskulären Risikos bei dem Kläger zur Berufsunfähigkeit führe; auch könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Ausübung der Tätigkeit im Schichtbetrieb um eine „prägende Tätigkeit“ handele. Schließlich sei auch der Nachweis der fehlenden Verweisbarkeit auf die neu ausgeübte Tätigkeit vom Kläger nicht geführt worden.

 

Die Beklagte beantragt (Bl. 281 GA),

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 14. April 2022, Az. 14 O 83/20, die Klage vollumfänglich abzuweisen.

 

Der Kläger beantragt (Bl. 273 GA),

die Berufung zurückzuweisen.

 

[...]

 

Das OLG Saarbrücken begründete sein Urteil wie folgt:

 

1.

Das Landgericht hat im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass sich die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche vorliegend nur aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag ergeben können, den der Arbeitgeber des Klägers bei der Beklagten u.a. für den Kläger unterhält und aus dem dieser als versicherte Person und Bezugsberechtigter selbst – unstreitig, Bl. 3 Rs., 19 GA – anspruchs- und forderungsberechtigt ist. Danach schuldet die Beklagte bei bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit Versicherungsleistungen bis längstens zum Vertragsablauf am 1. Januar 2030 in Gestalt einer monatlichen Rente sowie der Freistellung von der Pflicht zur Beitragszahlung. Die materiellen Voraussetzungen ihrer Eintrittspflicht ergeben sich aus den zugrunde liegenden Besonderen Bedingungen für alle Berufsunfähigkeitstarife (im Folgenden: BB-BU, Anlage K3); danach liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate außerstande ist, ihren zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Beruf – so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgestaltet war – auszuüben (§ 2 Nr. 1 Satz 1 BB-BU). Berufsunfähigkeit liegt nicht oder nicht mehr vor, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit tatsächlich ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entspricht; dies ist der Fall, wenn berufliches Bruttoeinkommen und soziale Wertschätzung der neuen Tätigkeit nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs sinken („konkrete Verweisung“; § 2 Nr. 1 Satz 6 und 7 BB-BU). Die Beklagte leistet überdies nur, wenn der Grad der Berufsunfähigkeit mindestens 50 Prozent beträgt; bei einem geringeren Grad der Berufsunfähigkeit besteht kein Anspruch auf die Versicherungsleistung (§ 2 Nr. 2 BB-BU). Der Kläger, den die Beweislast für diese Voraussetzungen trifft, muss deshalb nachweisen, dass er, bezogen auf einen konkreten Zeitpunkt (Stichtag), zu der versicherten beruflichen Tätigkeit in einem Ausmaß nicht mehr imstande ist, welches nach den Versicherungsbedingungen einen Anspruch auf die Versicherungsleistungen begründet; außerdem muss er darlegen und beweisen, dass er auch keine andere, seiner Ausbildung oder Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit ausübt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2003 – IV ZR 238/01, VersR 2003, 631; Urteil vom 12. Januar 2000 – IV ZR 85/99, VersR 2000, 349; Senat, Urteil vom 16. Juli 2021 – 5 U 107/18, VersR 2022, 28). Für diesen Beweis gilt der Maßstab des § 286 ZPO; er erfordert die Überzeugung des Richters von der zu beweisenden Tatsache im Sinne eines für das praktische Leben brauchbaren Grades von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 8. Juli 2008 – VI ZR 274/07, VersR 2008, 1126; Senat, Urteil vom 16. Juli 2021 – 5 U 107/18, VersR 2022, 28; Urteil vom 9. Mai 2018 – 5 U 23/16, RuS 2019, 214 = VersR 2018, 1314 Ls.).

 

2.

Diesen Nachweis hat der Kläger geführt. Wie das Landgericht auf Grundlage einer ordnungsgemäß durchgeführten Beweisaufnahme beanstandungsfrei (§ 529 Abs. 1 ZPO) festgestellt hat, steht hier mit der erforderlichen hinreichenden Gewissheit fest, dass der Kläger spätestens seit 8. November 2018 bedingungsgemäß zu mehr als 50 Prozent berufsunfähig gewesen ist, weil er zu diesem Zeitpunkt voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mehr als 50 Prozent außerstande war, seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Vorarbeiter im Schichtdienst bei der S. AG auszuüben, und er damals auch keine andere Tätigkeit ausgeübt hat, auf die er sich von der Beklagten verweisen lassen müsste.

 

a) Zur Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit des Klägers in seinem früheren Beruf vorliegt, hat das Landgericht richtigerweise auf die von ihm zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit als Vorarbeiter bei der Firma S. AG abgestellt, wie sie vor deren Beendigung konkret ausgestaltet war.

14aa) Bei der Feststellung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, ist grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h. solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war (BGH, Urteil vom 22. September 1993 – IV ZR 203/92, VersR 1993, 1470; Urteil vom 3. April 1996 – IV ZR 344/94, VersR 1996, 830; Senat, Urteil vom 9. Mai 2018 – 5 U 23/16, VersR 2018, 1314). Dazu muss bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt (BGH, Urteil vom 22. September 2004 – IV ZR 200/03, VersR 2004, 676). Hierzu ist das Landgericht vollkommen zu Recht von der Tätigkeitsbeschreibung des Klägers ausgegangen, die dieser im Rahmen seiner – eingehenden – Anhörung durch die Erstrichterin nachvollziehbar erläutert hat und die durch den – auf Antrag der Beklagten vernommenen – Zeugen S., den unmittelbaren Vorgesetzten des Klägers, in ihren wesentlichen Merkmalen bestätigt wurde. Insbesondere durfte das Landgericht sich dabei auch beanstandungsfrei davon überzeugen, dass der Kläger vormals immer im Wechselschichtmodell zwischen Früh-, Mittags- und Nachtschicht gearbeitet hat, nachdem er selbst dies in seiner erstinstanzlichen Anhörung so angegeben hatte (Bl. 126 GA) und der Zeuge S. dies ebenfalls ausdrücklich bestätigt hat (Bl. 130 GA). Durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlich getroffenen Feststellungen bestehen danach nicht, und solche werden auch mit der Berufung nicht aufgezeigt. Dazu genügt insbesondere nicht der Hinweis der Beklagten, dass sie die Sachdarstellung des Klägers (zulässigerweise, § 138 Abs. 4 ZPO) mit Nichtwissen bestritten habe. Davon abgesehen, dass es der Senat bereits wiederholt für zulässig gehalten hat, eine Überzeugung über die Ausgestaltung des Berufes im Einzelfall auch auf die persönlichen Angaben des Versicherten zu stützen (Senat, Urteil vom 27. März 2019 – 5 U 44/17, juris = VersR 2020, 151 (Ls.)), durfte die Erstrichterin hier im Rahmen der freien Beweiswürdigung aufgrund der mit den Angaben des Klägers übereinstimmenden Aussage des beklagtenseits benannten Zeugen, die es für glaubhaft erachtet hat und die dies ebenfalls nahelegte, zu der Überzeugung gelangen, die Darstellung des Klägers sei gerade auch in diesem speziellen Punkt zutreffend.

15bb) Soweit das Landgericht, daran anschließend, weiter angenommen hat, insbesondere der Umstand, dass der Kläger seine frühere Tätigkeit im rotierenden Schichtdienst unter Einschluss wiederkehrender Nachtschichten ausgeübt habe, sei für das Berufsbild prägend gewesen, ist auch das, unbeschadet der mit der Berufung dagegen erhobenen Einwände, nicht zu beanstanden. Die Beurteilung von Berufsunfähigkeit hat sich daran zu orientieren, wie das Arbeitsfeld des betreffenden Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 – IV ZR 116/95, VersR 1996, 959). Anerkanntermaßen zählen zu den „prägenden Merkmalen“ eines Berufes u.a. die üblichen Arbeitsbedingungen wie Arbeitsplatzverhältnisse und Arbeitszeiten (vgl. – jeweils zur Verweisung – BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 – IV ZR 120/93, VersR 1994, 1095; Urteil vom 23. Januar 2008 – IV ZR 10/07, VersR 2008, 479; Senat, Urteil vom 10. April 2002 – 5 U 562/01-38, NJW-RR 2003, 528; Urteil vom 29. Oktober 2003 – 5 U 451/02-58, VersR 2004, 1165). Existieren – wie hier – zeitliche Vorgaben des Arbeitgebers, die der Kläger als abhängig Beschäftigter auch nicht ohne weiteres zu beeinflussen vermag, weil ihm – anders als einem Selbständigen, vgl. dazu BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 – IV ZR 118/95, VersR 1996, 1090 – keine Möglichkeiten einer Umorganisation zur Verfügung stehen, so hat dies notwendigerweise Einfluss auf die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit und ihre für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit maßgebliche konkrete Ausgestaltung. Insoweit ist, anders als die Berufung meint, auch nicht entscheidend, dass der Kläger möglicherweise zu anderen Tageszeiten weiterhin ein sinnvolles Arbeitsergebnis erzielen könnte. Solche rein hypothetischen Erwägungen lassen unberücksichtigt, dass es für die Frage, zu welchen Tätigkeiten der Kläger noch imstande ist, immer auf die frühere Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 1993 – IV ZR 203/92, VersR 1993, 1470; Senat, Urteil vom 16. Juli 2021 – 5 U 107/18, VersR 2022, 28). Erst vor dem Hintergrund dieses konkreten Tätigkeitsbildes kann dann der Stellenwert gesundheitlicher Beeinträchtigungen beurteilt werden und es möglicherweise so sein, dass eine solche Tätigkeit zwar zeitlich noch zu mehr als der Hälfte ausgeübt werden kann, jedoch bestimmte (unabdingbare) Verrichtungen, mögen sie auch in zeitlicher Hinsicht eine geringere Dimension haben, nicht mehr durchführbar sind (Senat, Urteil vom 27. März 2019 – 5 U 44/17, juris = VersR 2020, 151 (Ls.); Rixecker in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 46 Rn. 91). Dass – umgekehrt – bestimmte, nicht mehr durchführbare Verrichtungen möglicherweise auch entbehrlich werden, wenn die Tätigkeit nicht mehr in gleicher Art und Weise, sondern unter geänderten Rahmenbedingungen ausgeübt würde, kann zwar für die Beurteilung der Zulässigkeit einer (abstrakten oder konkreten) Verweisung von Bedeutung sein (vgl. – für die Unterscheidung von Außen- und Innendiensttätigkeit – Senat, Urteil vom 8. Januar 2003 – 5 U 910/01-77, VersR 2004, 54; Lücke, in: Prölss/Martin, VVG 31. Aufl., § 172 Rn. 60); auf die Entscheidung, welche konkrete bisherige Tätigkeit der Beurteilung zugrunde zu legen ist, hat dies jedoch keinen Einfluss.

 

b) Seiner vormaligen Tätigkeit als Vorarbeiter in Wechselschicht konnte der Kläger spätestens seit dem 8. November 2018 gesundheitsbedingt voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 Prozent nicht mehr nachgehen. Der Senat hält es mit dem Landgericht für erwiesen (§ 286 ZPO), dass der Kläger, bei dem seinerzeit eine koronare Gefäßerkrankung diagnostiziert wurde, die zur Implantation zweier Drug-Eluting-Stens in die rechte Koronararterie (RCA) führte, deswegen seitdem bedingungsgemäß außerstande war, seine frühere Tätigkeit in ihrer damaligen Ausgestaltung weiter auszuüben.

 

aa) Das Landgericht geht mit Recht davon aus, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht nur dann vorliegt, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls nicht mehr zur Fortsetzung seiner zuletzt ausgeübten Berufstätigkeit imstande ist, sondern auch dann anzunehmen ist, wenn Gesundheitsbeeinträchtigungen eine Fortsetzung der Berufstätigkeit unzumutbar erscheinen lassen. Letzteres ist dann der Fall, wenn sich die fortgesetzte Berufstätigkeit des Versicherten angesichts einer drohenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes als Raubbau an der Gesundheit und deshalb überobligationsmäßig erweist. Einem Versicherten ist eine Fortsetzung seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit dann nicht zuzumuten, wenn diese nachweislich bereits zu weitergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat oder solche Schäden ernsthaft zu erwarten sind (BGH, Urteil vom 11. Juli 2012 – IV ZR 5/11, VersR 2012, 1547; Senat, Urteil vom 24. November 2021 – 5 U 20/19, VersR 2022, 371; Rixecker in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 46 Rn. 82). Unter welchen Voraussetzungen ein überobligationsmäßiges Verhalten des Versicherten vorliegt, lässt sich nicht allgemein sagen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – IV ZR 208/99, VersR 2001, 89; OLG Karlsruhe, RuS 2021, 703). Erforderlich für diese Annahme ist, dass bei Fortsetzung der bisherigen Berufstätigkeit in einem Umfang von bis zu 50 Prozent aufgrund nachgewiesener konkreter Beweisanzeichen die Prognose gestellt werden kann, es werde mit einem messbaren, rational begründbaren Grad von Wahrscheinlichkeit zu weiteren Gesundheitsschäden kommen. Ist dagegen völlig offen, ob weitere Gesundheitsschäden eintreten, kann eine Berufsunfähigkeit nicht angenommen werden (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – IV ZR 208/99, VersR 2001, 89; Senat, Urteil vom 24. November 2021 – 5 U 20/19, VersR 2022, 371; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung 4. Aufl., Kap. 6 Rn. 111). Die Unzumutbarkeit der Berufsausübung muss außerdem einen spezifischen Zusammenhang mit den gerade durch die Tätigkeit verbundenen Gefahren aufweisen, es darf also nicht nur eine Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos drohen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2012 – IV ZR 5/11, VersR 2012, 1547; Senat, Urteil vom 27. März 2019 – 5 U 44/17, juris = VersR 2020, 151 (Ls.)).

 

bb) Dies zugrunde legend, hat das Landgericht auf der Grundlage des von ihm eingeholten kardiologischen Sachverständigengutachtens eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit des Klägers in seinem früheren Beruf als Vorarbeiter seit November 2018 zu Recht bejaht.

 

(1) Aufgrund der eingehenden und nachvollziehbaren Ausführungen des dem Senat als unzweifelhaft fachkompetent bekannten Sachverständigen PD Dr. F., der zunächst ein schriftliches Gutachten (Bl. 156 ff. GA) erstattet und dieses im Nachgang hierzu auch mündlich erläutert hat (Bl. 207 ff. GA), hat das Landgericht beanstandungsfrei für nachgewiesen erachtet, dass der Kläger im November 2018 einen Myokardinfarkt erlitten hat, der bei dem Kläger zu einer leichtgradig reduzierten Pumpleistung der linken Herzkammer führt und der eine unveränderte Fortführung der früheren Tätigkeit des Klägers in ihrer konkreten, durch das Erfordernis von Wechselschichten geprägten Ausgestaltung nunmehr als unzumutbar erscheinen lässt. Insoweit hat die Erstrichterin zunächst zutreffend erkannt, dass allein die aus der Erkrankung folgenden (körperlichen) Beeinträchtigungen diesen Schluss für sich genommen nicht rechtfertigen. Dies folgt aus den schriftlichen Feststellungen des Sachverständigen, der aus residuellen Wandbewegungsstörungen nach stattgehabtem Myokardinfarkt am Herzmuskel des Klägers nur eine als „leicht- bis mittelgradig eingeschränkt“ zu charakterisierende kardiopulmonale Leistungsfähigkeit folgert, insbesondere im Hinblick auf die objektiv erhobenen Leistungsdaten aus kardiologischer Sicht eine mittelschwere körperliche Arbeit für möglich erachtet und angesichts des verbliebenen Leistungsvermögens – freilich nur rückschauend – „zu keinem Zeitpunkt“ eine mehr als 50prozentige Berufsunfähigkeit bei dem Kläger gesehen hat (Bl. 161 GA). Allerdings stellt das Landgericht, gestützt auf die nachfolgenden Ausführungen des Sachverständigen, genauso zutreffend weiter fest, dass Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus, wie sie hier durch die Schichtarbeit des Klägers bedingt sind, unter diesen Voraussetzungen eine besondere Belastung darstellen, nämlich mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie einem Herzinfarkt verbunden sind, weshalb, so der Sachverständige bereits in seinem schriftlichen Gutachten ausdrücklich, insbesondere Nachtarbeit „vermieden werden“ solle (Bl. 161 GA). In der mündlichen Erläuterung hat der Sachverständige diese Einschätzung auf Nachfragen weitergehend dahin präzisiert, dass in der Fachliteratur eine allgemeine Empfehlung für Patienten mit der Vorerkrankung des Klägers gegeben werde, Schichtarbeit zu vermeiden. Wie sich das bei Kläger konkret darstelle, lasse sich schwer sagen; allerdings habe dieser einige Risikoparameter, die nicht gut eingestellt seien, zu der die Schichtwechselarbeit als zusätzliches Risiko hinzutrete. Dadurch erhöhe sich das Risiko, dass es zu einer erneuten Erkrankung bzw. zu einem Fortschreiten der Erkrankung komme, man könne – so der Sachverständige – schon sagen, dass sich das Risiko potenziere. Um wieviel sich das Risiko erhöhe, sei mangels entsprechender Untersuchungen schwer zu sagen (Bl. 208 GA). Das Risiko erhöhe sich „zwar deutlich, man könnte dem Kläger aber nicht sagen, dass es zwingend zu einem weiteren Ereignis“ komme. Aus arbeitsmedizinischer Sicht müsse dem Kläger allerdings „empfohlen werden, keine Schichtarbeit mehr durchzuführen“ (Bl. 209 GA).

 

(2) Soweit das Landgericht, gestützt auf diese sachverständigen Ausführungen, angenommen hat, dass die weitere Betätigung im früheren Beruf für den Kläger in der dortigen konkreten Ausgestaltung ein nicht zumutbares erhebliches Risiko bedeute, nämlich eine exponentiell höhere Gefahr für ein Fortschreiten der Erkrankung oder einen erneuten Infarkt, und es ihn deshalb, rückbezogen prognostisch seit November 2018, für bedingungsgemäß berufsunfähig erachtet hat, sieht der Senat auch angesichts der mit der Berufung erhobenen Einwände keine Veranlassung, diese Feststellungen in Zweifel zu ziehen. Er teilt die Wertung der Erstrichterin, dass die bisherige Berufsausübung bei dem Kläger bereits zu weitergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat, wie sie der Sachverständige hier objektiv feststellt, sowie vor allem auch, dass bei unveränderter Fortführung solche (weiteren) Schäden in einem die Zumutbarkeitsgrenze übersteigenden Ausmaß ernsthaft zu erwarten sind, weil den Kläger fortan ein – so der Sachverständige wörtlich: – „deutlich erhöhtes“, gar „potenziertes“ Risiko einer Wiederholung oder eines Fortschreitens der Erkrankung trifft. Davon, dass dies hier „völlig offen“ wäre, wie die Beklagte unter Hinweis auf fehlende Aussagen zu konkret bezifferten Wahrscheinlichkeiten einwendet, kann angesichts dieser eindeutigen Einschätzung des Sachverständigen keine Rede sein; ebenso wenig, dass es sich insoweit – nur – um eine Disposition des Klägers handelte, von der offen sei, ob sie überhaupt alsbald zu einer Krankheit führte. Vielmehr genügt seine uneingeschränkt nachvollziehbar begründete Einschätzung, die von einem stattgehabten Infarkt und, daraus folgend, einem bei Schichtarbeit „potenzierten“ Risiko für weitere schwere Verläufe ausgeht, dem von der Rechtsprechung geforderten „messbaren, rational begründbaren Grad von Wahrscheinlichkeit“ (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – IV ZR 208/99, VersR 2001, 89; Senat, Urteil vom 24. November 2021 – 5 U 20/19, VersR 2022, 371); eine weitergehende konkrete Bezifferung von Wahrscheinlichkeiten, wie sie die Beklagte vermisst, war dazu nicht erforderlich. Dementsprechend hat das Landgericht auf dieser Grundlage sowie auch des weiteren Hinweises des Sachverständigen auf die aus arbeitsmedizinischer Sicht auszusprechende, zwischenzeitlich auch umgesetzte „Empfehlung“, keine Schichtarbeit mehr auszuüben – die zwar für sich genommen wohl nicht trüge, das auf der gesundheitlichen Einschätzung beruhende Gesamtbild aber abrundet –, völlig zu Recht angenommen, dass dem Kläger seit dem Auftreten seiner Herzerkrankung im November 2018 eine Fortführung seiner früheren Tätigkeit als Vorarbeiter in Wechselschicht voraussichtlich mindestens sechs Monate lang nicht mehr zuzumuten war.

 

c) Gleichfalls steht fest, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit in seinem früheren Beruf am 8. November 2018 („Stichtag“) auch keine andere, seiner bisherigen Lebensstellung in wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht entsprechende Tätigkeit ausübte (§ 2 Nr. 1 Abs. 2 BB-BU, sog. „konkrete Verweisung“); die in den Bedingungen ebenfalls vorgesehene „abstrakte Verweisung“ (§ 2 Nr. 1 Abs. 3 BB-BU) ist nur auf die in § 2 Nr. 4 Buchst. c BB-BU genannten Personengruppen anwendbar, zu denen der Kläger nicht zählt. Darauf, dass der Kläger seit 1. Mai 2019 eine andere Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber aufgenommen hat, kommt es insoweit nicht an, ungeachtet der Frage, ob es sich dabei um eine adäquate Verweisungstätigkeit handelt, weil die Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalles, und dazu zählt auch die fehlende Möglichkeit der Verweisung auf eine andere Tätigkeit, am Stichtag vorliegen müssen und spätere Veränderungen außer Betracht bleiben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2007 – IV ZR 232/03, VersR 2007, 631; Senat, Urteil vom 16. Juli 2021 – 5 U 107/18, VersR 2022, 28; Rixecker, in: Langheid/Rixecker, VVG 7. Aufl., § 172 Rn. 52). Vielmehr kann sich die Beklagte, wenn Berufsunfähigkeit – wie hier – für einen konkreten Zeitpunkt festgestellt ist, nur im Rahmen des in ihren Bedingungen (§§ 7, 8 BB-BU) geregelten Nachprüfungsverfahrens unter den dort beschriebenen Voraussetzungen – ggf. auch innerhalb eines laufenden Rechtsstreits – von ihrer Leistungspflicht lösen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – IV ZR 111/07, RuS 2010, 251), wovon im Übrigen auch das Landgericht in dem angefochtenen Urteil (LGU, S. 12 f. = Bl. 244 f. GA) unausgesprochen zu Recht ausgegangen ist. Solange eine solche wirksame Leistungseinstellung nicht erfolgt ist, bleibt die Beklagte deshalb wegen des einmal eingetretenen Versicherungsfalles – hier nachweislich: am 8. November 2018 – bis auf weiteres zur Leistung verpflichtet.

 

d) Weil der Kläger bewiesen hat, dass nach Maßgabe des § 2 Nr. 1 BB-BU im November 2018 Berufsunfähigkeit vorgelegen hat, kommt es auf die von ihm eingewandte weitere Regelung in § 2 Nr. 3 BB-BU nicht mehr an. Danach gilt für den Fall, dass die versicherte Person seit sechs Monaten ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande ist, ihren zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgestaltet war, auszuüben, und sie in dieser Zeit auch keine andere Tätigkeit ausgeübt hat, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht, dieser Zustand von Beginn an als Berufsunfähigkeit. Diese Regelung will verhindern, dass dem Versicherten auf Dauer ein Nachteil daraus entsteht, dass sich die in § 2 Nr. 1 BB-BU verlangte Prognose, der Zustand werde „voraussichtlich dauernd“ bestehen, nicht stellen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1993 – IV ZR 206/91, VersR 1993, 562; Senat, Urteil vom 19. Mai 2010 – 5 U 91/08-10, VersR 2011, 249). Dessen bedarf es aber nicht, wenn die nach § 2 Nr. 1 BB-BU erforderliche Prognose – wie hier – ohnehin gestellt werden kann.

 

3.

Die Beklagte hat nach Eintritt des Versicherungsfalles ihre Leistungen auch nicht wirksam wieder eingestellt. Ist – wie hier – ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Leistungspflicht gegeben, steht dem Versicherer im selben Rechtsstreit der Beweis offen, dass und ab welchem Zeitpunkt die Voraussetzungen für eine Herabsetzung oder Einstellung der Leistungen nach § 7 BB-BU eingetreten sind; im Urteil ist dann über Beginn und Ende der Leistungspflicht zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – IV ZR 111/07, RuS 2010, 251; Senat, Urteil vom 18. November 2015 – 5 U 84/13, ZfS 2017, 459). Die wirksame Einstellung der Leistungen erfordert aber neben dem späteren Wegfall der zunächst bestehenden Berufsunfähigkeit stets, dass der Versicherer dies durch eine den inhaltlichen Anforderungen des Nachprüfungsverfahrens genügende Änderungsmitteilung an den Versicherungsnehmer – ggf. auch schriftsätzlich – geltend macht (§ 7 Nr. 4 Satz 2 BB-BU, § 174 Abs. 1 VVG; vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2019 – IV ZR 65/19, VersR 2020, 276; Senat, Urteil vom 20. Mai 2020 – 5 U 30/19, VersR 2020, 1169). Schon daran fehlt es hier; denn die Beklagte hat die Aufnahme einer neuen Beschäftigung durch den Kläger bislang nicht zum Anlass genommen, in nachvollziehbarer Weise zu begründen, warum dadurch ihre Leistungspflicht geendet haben sollte:

 

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist der Versicherer selbst dann, wenn er – wie hier – kein Leistungsanerkenntnis abgegeben hat, bei Wegfall der zunächst eingetretenen Berufsunfähigkeit an die eine Leistungseinstellung regelnden Versicherungsbedingungen gebunden (BGH, Urteil vom 23. Februar 2022 – IV ZR 101/20, VersR 2022, 500, m.w.N.). Der Versicherungsnehmer bedarf auch in derartigen Fällen des Schutzes, den ihm die in einem Nachprüfungsverfahren zu liefernde nachvollziehbare Begründung des Versicherers für das Entfallen seiner Leistungspflicht bietet (BGH, Beschluss vom 13. März 2019 – IV ZR 124/18, VersR 2019, 1134). Unterbleibt die gebotene Mitteilung oder ist sie rechtsunwirksam, so besteht die Leistungspflicht auch dann fort, wenn sich die maßgeblichen Umstände derart geändert haben, dass sie den Versicherer zur Leistungseinstellung berechtigt hätten (BGH, a.a.O.; Urteil vom 17. Februar 1993 – IV ZR 206/91, BGHZ 121, 284). Voraussetzung der Wirksamkeit einer solchen Mitteilung ist deren Nachvollziehbarkeit, also grundsätzlich das Vorhandensein einer Begründung, aus der für den Versicherten nachvollziehbar wird, warum nach Auffassung seines Vertragspartners die anerkannte Leistungspflicht enden soll (BGH, Urteil vom 3. November 1999 – IV ZR 155/98, VersR 2000, 171; Urteil vom 23. Februar 2022 – IV ZR 101/20, VersR 2022, 500). Dem Versicherungsnehmer müssen diejenigen Informationen erteilt werden, anhand derer er sein Prozessrisiko sachgerecht abschätzen kann (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2005 – IV ZR 15/05, VersR 2006, 102; Senat, Urteil vom 20. Mai 2020 – 5 U 30/19, VersR 2020, 1169; Lücke, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 174 Rn. 23). Das gilt nicht nur bei einer Änderung der Gesundheitsverhältnisse, sondern auch bei einer nachträglichen Verweisung auf eine andere Tätigkeit und setzt auch hier grundsätzlich voraus, dass der Versicherer den Zustand, der seinem (gebotenen) Anerkenntnis zugrunde lag, mit dem für das Abänderungsverlangen maßgeblichen Zustand vergleicht und aufzeigt, aufgrund welcher Veränderungen er eine Einstellung der Leistungen für gerechtfertigt hält (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2005 – IV ZR 15/05, VersR 2006, 102; OLG Hamm, VersR 2023, 305). Angaben zu der anderen Tätigkeit als Voraussetzung der Nachvollziehbarkeit der Versichererentscheidung sind allerdings nicht erforderlich, wenn der Versicherte diese Tätigkeit konkret ausübt und daher anhand eigener Kenntnisse zu der Beurteilung in der Lage ist, ob die andere Tätigkeit seiner zuletzt ausgeübten vergleichbar ist (BGH, Urteil vom 3. November 1999 – IV ZR 155/98, VersR 2000, 171; Senat, Urteil vom 30. September 2008 – 5 U 156/08-16, VersR 2009, 917; Lücke, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 174 Rn. 25). Hier muss der Versicherer nur erläutern, weshalb er meint, den Versicherten auf diesen anderen Beruf verweisen zu können (OLG Celle, VersR 2017, 870; Neuhaus, a.a.O., Kap. 14 Rn. 140). Dazu gehört aber, dass der Versicherer die nach seiner Meinung vergleichbare Wertschätzung wenigstens ansatzweise begründet, weil der Versicherungsnehmer diese Kenntnis nicht allein daraus hat, dass er die neue Tätigkeit bereits ausübt (Neuhaus, a.a.O., Kap. 14 Rn. 140; Knechtel, in: Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung 1. Aufl., § 9 BUV Rn. 111). Entscheidend ist, dass dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Informationen vollständig und ohne Bewertungsspielräume zu belassen zur Verfügung stehen (Rixecker, in: Langheid/Rixecker, a.a.O., § 174 Rn. 14).

 

b)

Im Streitfall fehlt es danach an einer den Anforderungen genügenden nachvollziehbaren Einstellungsmitteilung. Die Beklagte, die den Kläger vorrangig nicht für berufsunfähig gehalten hat, hat dessen spätere Aufnahme einer neuen Beschäftigung nicht zum Anlass genommen, eine ordnungsgemäße Leistungseinstellung gegenüber dem Versicherungsnehmer zu formulieren. Ihr – insoweit allein in Betracht kommender – Hinweis in der Klageerwiderung vom 24. Juni 2020, sie erkläre „hilfsweise die Leistungseinstellung unter Bezugnahme auf die Aufnahme einer konkreten Verweisungstätigkeit zum 1. Mai 2019“ (Bl. 25 f. GA), war ungeachtet des fehlenden Zuganges beim richtigen Adressaten (vgl. Neuhaus, a.a.O., Kap. 14 Rn. 115) dazu nicht geeignet, weil mit der darin gegebenen Begründung, selbst unter Berücksichtigung des gesamten weiteren Prozessstoffes, nicht nachvollziehbar erläutert wurde, weshalb diese neue Tätigkeit aus Sicht der Beklagten die Anforderungen an eine geeignete Verweisungstätigkeit erfüllte. Denn dafür genügt nicht, dass dem Versicherungsnehmer lediglich die Informationen vorliegen, denen der Versicherer eine zum einem Wegfall der Leistungspflicht führende Veränderung der Umstände i.S.v. § 174 VVG entnimmt; vielmehr muss ihm durch die Veränderungsmitteilung gerade die Beurteilung des Versicherers zum Wegfall der Leistungspflicht i.S.v. § 174 Abs. 1 VVG nachvollziehbar dargelegt werden (vgl. OLG Karlsruhe, RuS 2015, 81), anderenfalls ist eine sachgerechte Prüfung und Abschätzung der eigenen Erfolgsaussichten nicht möglich. Daran fehlte es hier jedoch völlig. Die Angaben der Beklagten im Rechtsstreit beschränkten sich darauf, dem Kläger unter Bezugnahme auf eine von ihr zuvor bei dem Arbeitgeber angeforderte „Arbeitsplatzbeschreibung“ (Anlage B 7) mitzuteilen, dass er, weil er zwischenzeitlich diese neue Tätigkeit ausübe, darauf verwiesen werden könne, und enthielten zur weiteren Begründung nur eine nicht einmal im Ansatz auf den Einzelfall zugeschnittene Aufzählung allgemeiner Voraussetzungen einer Verweisung, von der ohne jede nähere Begründung behauptet wurde, diese seien hier erfüllt. Die entsprechenden Ausführungen, es handele sich um eine Tätigkeit, die der Kläger in gesundheitlicher Hinsicht auszuüben in der Lage sei, aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausüben könne und hierdurch weder über- noch unterfordert werde und in Wahrung seines sozialen Status und seiner wirtschaftlichen Verhältnisse auszuüben in der Lage sei (Bl. 25 f. GA), sind jedoch völlig nichtssagend, weil sie den konkreten Einzelfall überhaupt nicht in den Blick nehmen und auch nicht ansatzweise nachvollziehbar machen, woraus sich die Berechtigung der Beklagten, den Kläger auf seine derzeit ausgeübte Tätigkeit zu verweisen, ergeben soll (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 2005 – IV ZR 15/05, VersR 2006, 102). Selbst unter Zuhilfenahme der in Bezug genommenen Arbeitsplatzbeschreibung, die sich auf eine stichwortartige Schilderung der Ausgestaltung der Tätigkeit beschränkte, und dem Wissen aus dem vorliegenden Verfahren ist es nicht möglich, die Entscheidung der Beklagten insbesondere hinsichtlich der einzelnen, von schwierigen Wertungen geprägten Verweisungskriterien nachzuvollziehen. Insbesondere die Behauptung, die Tätigkeit wahre den wirtschaftlichen und sozialen Status des Klägers, schwebt ohne jede nähere Erläuterung anhand von konkreten Umständen frei im Raum; die Motivation der Beklagten wird dadurch nicht nachprüfbar erläutert. Das genügt nicht, um in formal ordnungsgemäßer Hinsicht die Leistungen – auch im Rechtsstreit – einzustellen.

 

c)

Weil – auch mangels einer anderen ordnungsgemäßen Mitteilung – die Leistungseinstellung der Beklagten damit schon an dieser wesentlichen formalen Voraussetzung scheitert, kann dahinstehen, dass die Beklagte nach den auch insoweit beanstandungsfreien Feststellungen des Landgerichts deren materielle Berechtigung ebenfalls nicht ausreichend nachgewiesen hat. Wie in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wird, ist nämlich nicht erwiesen, dass die vom Kläger seit 1. Mai 2019 ausgeübte neue Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entspricht, weil davon ausgegangen werden muss, dass jedenfalls die soziale Wertschätzung der neuen Tätigkeit unter dem Niveau des bislang ausgeübten Berufes liegt.

 

aa) Nach der – maßgeblichen – Regelung in § 7 Nr. 4 Satz 1 BB-BU wird die Beklagte von der Leistung frei, wenn bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht vorliegt. Wann und unter welchen Voraussetzungen bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit – und damit der Versicherungsfall – eintritt, ergibt sich aus § 2 Nr. 1 BB-BU und den dortigen Maßstäben; schon aus diesem Zusammenhang wird deutlich, dass der Begriff Berufsunfähigkeit in §§ 2 und 7 BB-BU inhaltlich deckungsgleich ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 2016 – IV ZR 434/15, VersR 2017, 147). Dementsprechend wird dem Versicherer grundsätzlich auch die Nachprüfung eröffnet, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit tatsächlich ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht entspricht (§ 2 Nr. 1 Abs. 2 BB-BU). Die bisherige Lebensstellung der versicherten Person wird vor allem durch die zuletzt in gesunden Tagen ausgeübte Tätigkeit geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Fähigkeiten und Erfahrung erfordert als der bisherige Beruf. Die Lebensstellung des Versicherten wird also von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt, die sich – ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit – wiederum daran orientiert, welche Kenntnisse und Erfahrungen die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist dann gefunden, wenn die neue Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und in ihrer Vergütung sowie in ihrer sozialen Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufs absinkt (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2016 – IV ZR 434/15, VersR 2017, 147; Urteil vom 20. Dezember 2017 – IV ZR 11/16, VersR 2018, 152). Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung, bei der die die Qualifikation der bisherigen und die der Vergleichstätigkeit prägenden Umstände miteinander verglichen werden (Lücke, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 172 Rn. 84). In diesem Zusammenhang bedarf es stets einer auf den Einzelfall abgestellten Wertung, ob mit der neuen Tätigkeit nicht ein spürbarer sozialer Abstieg („und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht“) verbunden ist, den der Versicherte nach § 2 Nr. 1 BB-BU nicht hinzunehmen braucht; Indikatoren für das mit einem Beruf verbundene Sozialprestige sind außer der zu seiner Ausübung notwendigen Ausbildung und der Verdienstmöglichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1987 – IV a ZR 240/86, VersR 1988, 234) insbesondere eine besondere Vertrauenswürdigkeit, die Rolle des Vorgesetzten oder die Befugnis zu Entscheidungen über den Einsatz von Personen und Sachen (Dörner, in: MünchKomm-VVG, a.a.O., § 172 Rn. 172; Lücke, in: Prölss/Martin, a.a.O., § 172 Rn. 100; Mangen, in: BeckOK VVG, 18. Edition Stand 01.02.2023, § 172 Rn. 75). Ein erheblicher Verlust an sozialer Wertschätzung, verbunden mit geringeren Qualifikationsanforderungen in dem neuen Beruf, kann durch ein höheres Einkommen und eine bessere soziale Absicherung nicht kompensiert werden (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 – IV ZR 11/16, VersR 2018, 152; OLG Karlsruhe, VersR 2013, 747; Dörner, in: MünchKomm-VVG a.a.O., § 172 Rn. 172). Von diesen Maßstäben hat sich das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend leiten lassen; dabei hat es die Beklagte richtigerweise auch hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen der Verweisbarkeit für beweisbelastet erachtet (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 – IV ZR 111/07, RuS 2010, 251, m.w.N.). Soweit die Beklagte dies in ihrer Berufungsbegründung anders sieht, verkennt sie, dass es vorliegend nicht um die Frage der Verweisung des Klägers zum Stichtag und damit um eine weitere Voraussetzung ihrer (erstmaligen) Eintrittspflicht geht, für die der Versicherungsnehmer beweisbelastet wäre, sondern um den Fall einer nachträglichen Verweisung zum Zwecke der Leistungseinstellung, bei der das anders ist.

 

bb) Ebenso wenig ist es auch zu beanstanden, dass das Landgericht unter Beachtung dieser rechtlichen Vorgaben den Nachweis der Gleichwertigkeit der neuen Tätigkeit des Klägers insbesondere hinsichtlich ihrer sozialen Wertschätzung hier nicht für geführt erachtet hat, weil eine ausreichende Überzeugung (§ 286 ZPO) von dieser in der Klageerwiderung bloß ohne Substanz aufgestellten Behauptung angesichts der einsichtigen, anders lautenden, durch die Angaben des Zeugen S. in wesentlichen Punkten bestätigten Schilderung des Klägers (Bl. 56 f., 128 GA), der die Beklagte lediglich – zulässigerweise, § 138 Abs. 4 ZPO – mit Nichtwissen entgegengetreten ist (Bl. 75 GA), mangels anderer, geeigneter Nachweise nicht zu gewinnen war. Wie in dem angefochtenen Urteil korrekt festgestellt wird, hat der Kläger ursprünglich eine – so bezeichnete – „Führungsposition“ als Vorarbeiter ausgeübt, wobei er die Fachkräfte jeweils an den verschiedenen Geräten einwies, deren Arbeiten überwachte und die Qualitätskontrolle durchführte. Als „Bindeglied zwischen den Kunden… und den Fachkräften“ waren ihm je nach Schicht zwischen 9 und 16 Mitarbeiter unterstellt; die Erfassung der Prüfaufträge am Computer erfolgte lediglich als Teil dieser Tätigkeit. Demgegenüber beschränkt sich die neue Aufgabe des Klägers auf das Erfassen der Prüfaufträge von anderen Abteilungen im PC und die Weitergabe an den jeweiligen Vorarbeiter. Hierzu wurde die vormals im Rahmen der einzelnen Schichten ausgeübte Teiltätigkeit gebündelt und dem Kläger übertragen. Soweit das Landgericht aus dieser Darstellung, der die Beklagte auch mit ihrer Berufung nichts Erhebliches entgegenzusetzen vermag und die deshalb auch zweitinstanzlich zugrunde zu legen ist, den Schluss zieht, die neue Tätigkeit des Klägers bleibe in ihrer sozialen Wertschätzung hinter dem früheren Beruf erheblich zurück, weil insbesondere die Führungstätigkeit und die Verantwortung für die Organisation und Koordination der Schicht dort nicht mehr vorhanden sei und es sich, wenngleich – möglicherweise – auch (noch) nicht um eine Verlegenheitsbeschäftigung, so doch um eine reine „Zuarbeitertätigkeit“ handelt, erscheint auch das dem Senat mangels anderer, dies durchgreifend in Frage stellender Erkenntnisse in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend. Generell werden Tätigkeiten mit Führungsverantwortung gegenüber anderen Mitarbeitern in der Gesellschaft im Verhältnis zu Beschäftigungen, die dies nicht umfassen, als höherwertig angesehen. Dafür, dass dies im Falle des Klägers anders sein könnte, zumal die neue Tätigkeit des Klägers auch speziell für ihn geschaffen wurde und lediglich akzessorische Dokumentationsaufgaben zusammenfasst, hat die Beklagte – auch mit ihrer Berufung – keine durchgreifenden Argumente oder sonstigen Nachweise aufgezeigt, weshalb vor diesem Hintergrund auch keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen bestand. Dementsprechend fehlt es hier weiterhin am Nachweis, dass die vom Kläger seit 1. Mai 2019 ausgeübte neue Tätigkeit auch materiell-rechtlich ein ausreichender Grund für die – ohnehin schon nicht formgerecht bewirkte – Einstellung der Leistungen wegen Berufsunfähigkeit ist.

294. Hat der Kläger mithin die Voraussetzungen eines Versicherungsfalles im November 2018 bewiesen und kann auch eine spätere wirksame Leistungseinstellung durch die Beklagte nicht festgestellt werden, so ist die Beklagte gehalten, die nach dem Versicherungsvertrag und den zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen geschuldeten Leistungen den zutreffenden Ausführungen in dem – vom Senat gemäß § 319 ZPO berichtigten – landgerichtlichen Urteil entsprechend zu erbringen. Danach schuldet die Beklagte dem Kläger eine monatliche Rente in Höhe von 1.200,- Euro sowie die Befreiung von der Pflicht zur Beitragszahlung. Die Leistungspflicht der Beklagten beginnt gemäß § 1 Nr. 2 der Tarifbedingungen für den Tarif BR01 am Ersten des Monats, der dem Eintritt der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit folgt, hier also mit dem 1. Dezember 2018; diese Leistungen sind grundsätzlich bis auf weiteres für die Dauer der festgestellten Berufsunfähigkeit, längstens bis zum Ablauf der vertraglichen Leistungspflicht, geschuldet. Dementsprechend hat das Landgericht auf die – zuletzt dementsprechend reduzierte – Klage auf rückständige Rentenleistungen (Ziff. 1) und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge (Ziff. 3) für Dezember 2018 bis Mai 2020, jeweils zuzüglich Verzugszinsen ab dem 2. eines jeden Monats, zutreffend erkannt und genauso zu Recht die Beklagte zur weiteren Zahlung von Versicherungsleistungen nebst Zinsen ab dem jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt (Ziff. 2) sowie zur Beitragsbefreiung (Ziff. 4), jeweils ab 1. Juni 2020 bis längstens zum 1. Januar 2030, verurteilt.

305. Darüber hinaus schuldet die Beklagte dem Kläger Erstattung seiner vorgerichtlich entstandenen Rechtsverfolgungskosten; dieser Anspruch folgt dem Grunde nach aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB, nachdem die Beklagte ihre Eintrittspflicht zu Unrecht abgelehnt hatte, bevor der Kläger seine späteren Prozessbevollmächtigten beauftragte, und der Kläger sich dadurch veranlasst sehen durfte, anwaltlichen Rat einzuholen. Der Höhe nach errechnet sich die begründete Forderung allerdings nur im Umfang einer 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Streitwert der berechtigten Klageforderung zum Zeitpunkt der Mandatierung, spätestens am 7. Januar 2020; dieser beträgt 75.916,96 Euro (Wert der künftigen Leistungen nach § 9 ZPO, zzgl. der dahin bereits aufgelaufenen Rückstände für 14 Monate). Die daraus errechneten außergerichtlichen Kosten belaufen sich nach dem – maßgeblichen – Rechtsstand bis 31. Dezember 2020 auf 2.085,95 Euro (incl. MwSt.). Dieser Betrag ist antragsgemäß ab Klagezustellung zu verzinsen (§ 291 BGB). Soweit das Landgericht hier die Kosten in beantragter Höhe und ohne konkrete Benennung des Zeitpunkts der Rechtshängigkeit zugesprochen hat, bedurfte das angefochtene Urteil einer – geringfügigen – Korrektur; mit dieser Maßgabe war die im Übrigen unbegründete Berufung zurückzuweisen.

 

6. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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