Viele Unternehmer in Bayern, aber auch in anderen Bundesländern, wurden in den letzten Wochen daran erinnert, die (wirtschaftlichen) Voraussetzungen der beantragten Corona-Soforthilfen zu überprüfen und die erhaltenen Beträge ggf. bis 30.06.2023 zurückzuzahlen.
Unsere Kanzlei vertritt Mandanten, die sich ungerechtfertigten Rückforderungen von Corona-Soforthilfen ausgesetzt sehen.
Zwei große Fragestellungen haben sich in der letzten Zeit herauskristallisiert:
In Ziff. 1 der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und
mittelständische Unternehmen – Phase 4 (Überbrückungshilfe III Plus) des Bayerischen
Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie ist zum Zweck der Überbrückungshilfe u.a. ausgeführt:
7Diese Überbrückungshilfe III Plus ist in Form einer Billigkeitsleistung gemäß § 53 der Bundeshaushaltsordnung (BHO) bzw. Art. 53 der Bayerischen Haushaltsordnung (BayHO) als freiwillige Zahlung zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenz zu gewähren, wenn Unternehmen, Soloselbständige und Angehörige der Freien Berufe Corona-bedingt erhebliche Umsatzausfälle erleiden. 8Durch Zahlungen als Beitrag zu den betrieblichen Fixkosten soll ihre wirtschaftliche Existenz gesichert werden.
Definiert wird der Terminus an keiner Stelle. Unter Ziff. 2.1 der o.g. Richtline befindet sich lediglich eine Art Negativ-Definition:
5Nicht als Corona-bedingt gelten beispielsweise Umsatzeinbrüche, die zurückzuführen sind auf wirtschaftliche Faktoren allgemeiner Art oder die sich erkennbar daraus ergeben, dass Umsätze bzw. Zahlungseingänge sich lediglich zeitlich verschieben, die sich aufgrund von Schwierigkeiten in der Mitarbeiterrekrutierung ergeben oder auf Betriebsferien zurückzuführen sind.
Es gibt bislang kaum verwaltungsgerichtliche Urteile zu der Problematik. In der veröffentlichten Rechtsprechung wurde klar, dass die Verwaltungsgerichte lediglich prüfen, ob die Behörden durch die Aufhebung der Bescheide gegen die gängige „Verwaltungspraxis“ verstoßen haben. So führte etwa das Verwaltungsgericht Halle im Urteil vom 25.04.2022 (Az.: 4 A 28/22 HAL) aus:
Bei Billigkeitsleistungen der vorliegenden Art handelt es sich um freiwillige staatliche Maßnahmen. Unter welchen Voraussetzungen die bereit gestellten Mittel zu gewähren sind, ist nicht durch Rechtsnormen erfolgt. Vielmehr werden in den einschlägigen Richtlinien und Erlassen selbst Auswahlkriterien, Bewilligungsvoraussetzungen und Anweisungen zum Verfahren festgelegt. Richtlinien dieser Art sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 14. März 2018 - 10 C 1.17 - juris, m. w. N.) keine Rechtsnormen, denn sie haben keinen Rechtssatzcharakter. Sie begründen nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten. Sie sind aber dazu bestimmt, Maßstäbe für die gleichmäßige Verteilung der Billigkeitsleistung zu setzen. Die Verwaltungsbehörde darf unter Berücksichtigung der Zielrichtung der Fördermaßnahme ihr Ermessen durch Richtlinien oder eine Verwaltungspraxis für bestimmte Fallgruppen gleichmäßig nach generellen Gesichtspunkten binden. Die Ermessensbindung reicht nur soweit, wie die festgestellte tatsächlich ständig geübte Verwaltungspraxis (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2012 - 8 C 18.11 - juris). Zur Feststellung der zum entscheidungsrelevanten Zeitpunkt tatsächlich geübten Verwaltungspraxis kann dabei neben der einschlägigen Förderrichtlinie ergänzend auch auf öffentliche Verlautbarungen zurückgegriffen werden, wenn diese Aufschluss über die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis geben. Dies gilt beispielsweise für die Vollzugshinweise und die im Internet veröffentlichten sog. „FAQ“, unter denen auf häufig gestellte bzw. zu erwartende Fragen Antworten formuliert sind (vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 3. Dezember 2021 - 19 K 2760/20 - juris). Lässt sich danach eine bestimmte Verwaltungspraxis der Bewilligungsbehörde feststellen, ist davon auszugehen, dass diese grundsätzlich in allen zur Entscheidung vorliegenden Anträgen gleichförmig angewandt wird.
Ist - wie hier - durch die Vollzugshinweise bestimmt, unter welchen Voraussetzungen zweckbestimmte Billigkeitsleistungen zu beantragen und an den festgelegten Empfängerkreis zu verteilen sind, dann sind diese Vorgaben grundsätzlich keiner richterlichen Interpretation unterworfen. Das Gericht ist auf die Überprüfung beschränkt, ob bei Anwendung der Vollzugshinweise im Einzelfall, in dem die begehrte Leistung versagt worden ist, über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt oder der durch die Zweckbestimmungen gezogene Rahmen nicht beachtet worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 1979 - 3 C 111.79 - juris).
In die gleiche Kerbe stößt das Verwaltungsgericht München in einer Entscheidung vom 07.02.2023 (Aktenzeichen: M 31 K 21.6668):
Sind die Fördervoraussetzungen – wie hier – zulässigerweise in Förderrichtlinien geregelt, so müssen diese von der zuständigen Bewilligungsbehörde gleichmäßig (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV), im Einklang mit Art. 23 und 44 BayHO, ohne Verstoß gegen andere einschlägige Rechtsvorschriften und gemäß dem Förderzweck angewendet werden, wie dieser in den selbst gegebenen Richtlinien zum Ausdruck kommt. Die Verwaltungsgerichte haben sich auf die Prüfung zu beschränken, ob bei der Anwendung einer solchen Richtlinie im Einzelfall der Gleichheitssatz verletzt worden ist oder ein sonstiger Verstoß gegen einschlägige materielle Rechtsvorschriften vorliegt. Entscheidend ist daher allein, wie die zuständige Behörde die Richtlinie im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger, zu einer Selbstbindung führenden Verwaltungspraxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen an den Gleichheitssatz gebunden ist. Dabei darf eine solche Richtlinie nicht – wie Gesetze oder Rechtsverordnungen – gerichtlich ausgelegt werden, sondern sie dient nur dazu, eine dem Grundsatz der Gleichbehandlung entsprechende Ermessensausübung der Behörde zu gewährleisten (aktuell z.B. BayVGH, B.v. 3.8.2022 – 22 ZB 22.1151 – juris Rn. 17; B.v. 31.3.2022 – 6 ZB 21.2933 – juris Rn. 7; B.v. 8.11.2021 – 6 ZB 21.2023 – juris Rn. 6; vgl. ferner BVerwG, U.v. 16.6.2015 – 10 C 15.14 – juris Rn. 24; B.v. 11.11.2008 – 7 B 38.08 – juris Rn. 9; BayVGH, U.v. 11.10.2019 – 22 B 19.840 – juris Rn. 26 m.w.N.; B.v. 9.3.2020 – 6 ZB 18.2102 – juris Rn. 9; VG München U.v. 15.11.2021 – M 31 K 21.2780 – juris Rn. 21; U.v. 5.7.2021 – M 31 K 21.1483 – juris Rn. 23).
In der Richtlinie des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 17. März 2020, Az. 52-3560/33/1 (BayMBl. Nr. 156) ist u.a. nachzulesen:
„Der Antragsteller muss glaubhaft versichern, dass er durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten ist, die seine Existenz gefährden, weil die fortlaufenden Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb voraussichtlich nicht ausreichen, um die Verbindlichkeiten in den auf die Antragstellung folgenden drei Monaten aus dem fortlaufenden erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand (bspw. gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingraten) zu zahlen (Liquiditätsengpass)“
Ziffer 5 der Bewilligungsbescheide war folgendes zu entnehmen:
Sie sind verpflichtet, unverzüglich der Bewilligungsbehörde anzuzeigen, wenn
- die für die Bewilligung der Soforthilfe maßgeblichen Umstände sich ändern oder wegfallen
- [...]
Nach Ansicht der Kanzlei Stenz & Rogoz sind diese Formulierungen unklar: Was konkret muss sich geändert haben? Die ursprüngliche Einschätzung zum Zeitpunkt der Antragstellung, wonach (zu diesem Zeitpunkt) die Einnahmen aus dem Geschäftsbetrieb voraussichtlich nicht ausreichen würden, um die Verbindlichkeiten zu bedienen, war ja auch rückblickend am Ende des 3-Monats-Zeitraums korrekt und hat sich nicht geändert. Die Antragsteller haben auch in den Monaten März bis Mai sicherlich nicht Ihre Verbindlichkeiten aus den „fortlaufenden Einnahmen“ gezahlt. Die Einnahmen sind ja vermutlich erst wieder ab Juni geflossen. Daher konnten sie ihre Verbindlichkeiten nicht aus den fortlaufenden Einnahmen bedienen.
Mit Urteil vom 17.03.2023 hat das Oberverwaltungsgericht Münster (Aktenzeichen: 4 A 1988/22) eine wichtige Entscheidung im Hinblick auf die Rückforderung der sog. Corona-Soforthilfen gesprochen. Nach Ansicht der Verwaltungsrichter konnte in Nordrhein-Westfalen jeder Empfänger einer Soforthilfezuwendung darauf vertrauen, dass er auch im Nachhinein keine Mittel zurückzuzahlen hatte, die er während des Bewilligungszeitraums berechtigterweise „zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie“ oder „zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 in Zusammenhang mit der CO-VID-19-Pandemie entstanden sind“ verwendet hatte.
Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 16.08.2022 (Az.: 20 K 7488/20) klargestellt, dass die Bewilligungsbehörde nach dem Erlass eines Zuwendungsbescheides die darin verwandten Begrifflichkeiten nicht mehr frei auslegen kann. Der Bescheid hat insoweit Fakten geschaffen, über die sie sich nicht mehr nach Ermessen hinwegsetzen kann. Der Zuwendungsempfänger muss sich auf die im Antragsverfahren gleichmäßig ausgeübte Verwaltungspraxis und den Inhalt des Bewilligungsbescheides einstellen können. Das bedeutet zugleich, dass nach seinem Erlass in Kraft getretene Regelwerke oder spätere Informationen, die von jenen bis zum Erlasszeitpunkt abweichen, nicht zu berücksichtigen sind.